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/ 03.06.2013
Richard Chaim Schneider

Fetisch Holocaust. Die Judenvernichtung - verdrängt und vermarktet

München: Kindler Verlag 1997; 287 S.; 36,- DM; ISBN 3-463-40299-8
Schon der Titel dieses Buches nennt dessen zentrale These: Der Holocaust ist nach Ansicht des Autors zu einem 'Fetisch', einem Objekt der Lust geworden. Einer Lust, die sich selbst genügt und die mit dem konkreten, historischen Leiden, mit der historischen Bedeutung des Holocaust insbesondere für die Überlebenden und ihre Kinder - zu denen der 1957 geborene Schneider zählt - wenig zu tun habe. Im Gegenteil: dieser Fetisch werde angebetet und ausgebeutet, um aus ihm - auch symbolisch - Kapital zu schlagen. Das Buch ist weniger der Versuch einer theoretischen oder systematischen Begründung seiner interessanten These, mit der sich die bis heute relevante Frage nach dem politischen und ästhetischen Umgehen mit dem Holocaust verbindet. Die These ist vielmehr Anlaß zur Rekapitulation einer Reihe von Debatten der letzten Jahre in der Bundesrepublik. Hier geht es ebenso um die Kontroverse über das Buch Hitlers willige Vollstrecker von Daniel Jonah Goldhagen wie um die Auseinandersetzungen im Gefolge der Ausschreibung für ein Holocaust-Mahnmal in Berlin, weiterhin um die Reaktionen auf Steven Spielbergs Film Schindlers Liste sowie die vielbeachtete Veröffentlichung der Tagebücher Victor Klemperers. Es mag dem Publizisten nachgesehen werden, daß er seine zahlreichen und oft wünschenswert ausführlich zitierten Quellen nicht nachweist, doch verspielt der Autor dadurch die Chance, sein Buch nicht nur als absichtsvoll polemische Reaktion auf den deutschen Umgang mit dem Holocaust zu lancieren, sondern auch als bibliographisches Hilfsmittel für diejenigen Leser und Leserinnen, die jene Debatten nicht so ausführlich verfolgt haben. Die Position, die Schneider einnimmt, wird nicht unwidersprochen bleiben, zumal er sie nicht durch theoretische Kohärenz abzusichern sucht. So spricht er sich angesichts eines Entwurfs für das Holocaust-Denkmal in Berlin für ein "Bilderverbot" aus (199), verteidigt dagegen den Film Schindlers Liste gegen grundsätzliche ähnliche Kritik, indem er dessen "Authentizität" lobt (231). In typographisch abgesetzten Passagen, die den persönlichen Charakter des Buches hervorheben sollen, setzt sich der Autor darüberhinaus mit seiner paradoxen Situation auseinander, durch den als Buch publizierten Vorwurf der Profilierung und Bereicherung selbst am Holocaust zu verdienen und sich zu profilieren. An solche Überlegungen die Frage anzuschließen, ob und mit welchen Kriterien sich die Vermarktung des Holocaust bewerten lasse, vermeidet der Autor jedoch zugunsten so prägnanter Sätze wie diesem: "Die toten Juden hat man in Deutschland am liebsten. Die lebenden stören" (237).
Michael Hein (HN)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Arbeitsstelle für graphische Literatur, Universität Hamburg, freier Lektor, Übersetzer, Publizist.
Rubrizierung: 2.352.3122.333 Empfohlene Zitierweise: Michael Hein, Rezension zu: Richard Chaim Schneider: Fetisch Holocaust. München: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/2818-fetisch-holocaust_3715, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 3715 Rezension drucken
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