/ 05.06.2013
Thomas Greven / Oliver Jarasch (Hrsg.)
Für eine lebendige Wissenschaft des Politischen. Umweg als Methode
Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999 (edition suhrkamp 2129); 445 S.; 29,80 DM; ISBN 3-518-12129-4Der Band erschien anlässlich des 65. Geburtstages von Ekkehart Krippendorf. Er lehrte an der Freien Universität am John-F.-Kennedy- sowie Otto-Suhr-Institut in Berlin politische Wissenschaften und gilt als einer der Gründerväter kritischer Friedensforschung in der Bundesrepublik Deutschland. Den Beginn auf diesem (Um)Weg macht Narr, langjähriger Weggefährte Krippendorfs. Sein sehr persönlich gehaltener offener Brief an den Jubilar rechnet mit einer Politikwissenschaft ab, die sich vorwiegend an Realpolitik und Regierungsfähigkeit orientiert. Selbstkritisch wird dabei die Frage aufgeworfen, warum Lehrende und Studierende des Faches die Verflachung nicht aufhalten konnten. Die normative und kritische Lesart bekommt durch die Beiträge von Albrecht und Altvater eine Berliner Ergänzung. Neben weiteren Politologen laden auch Vertreter anderer Disziplinen ein, den Umweg als Methode zu kultivieren. Beispielsweise empfiehlt die Erziehungswissenschaftlerin Thürmer-Rohr, das dialogische Prinzip als Methode für die Universitäten wieder zu entdecken. Dabei fordert sie, Dialog nicht mit Geschwätzigkeit zu verwechseln. Echter Dialog sei umständlich, nicht ergebnisorientiert und wirft oft mehr Fragen auf als er Antworten gibt. Auf der Basis von Goethes "Epochen geselliger Bildung", sinniert Stammen über die Abgrenzung Goethes zur damaligen Nationalstaatsidee. Die Frage, mit wem man den Dialog führt, setzt auch die Erkenntnis über die eigene Position voraus. Dieser Band trägt dazu bei, die weltbürgerliche Perspektive einzunehmen und den (politologischen) Horizont zu weiten und dialogbereit zu bleiben.
Inhalt: I. Universität und Gesellschaft: Wolf-Dieter Narr: Politikwissenschaft als Beruf, den wir mein(t)en - Offener Brief an Ekkehart Krippendorf (20-37); Leo Kreutzer: Richterliches Nötigen oder Zarte Empirie - Kant und Goethe über Wissenschaftlichkeit (38-49); Peter Matussek: Tun und Lassen - Zur Dynamik des Faust-Schlusses (50-60); Christina Thürmer-Rohr: Neugier und Askese - Vom Siechtum des dialogischen Prinzips an der Dienstleistungs-Universität (61-74); Bruce Spear / Margit Mayer: Abschied vom Genie - Zur Umstrukturierung des amerikanischen höheren Bildungssystems (75-87); Dian Schefold: Italien als Spiegel - Striche zur Skizze eines fruchtbaren Umwegs (88-97); Christian Bartolf: Tolstoi und Gandhi als Kritiker der Wissenschaft (98-106); Gert Krell: Die Intellektuellen und die Macht - Kritische Anmerkungen zum Korruptionsvorwurf gegenüber der Politikwissenschaft und der Friedensforschung (107-117); Lars Maischak / Markus Euskirchen: Vernunft und Moral - Plädoyer für einen rigorosen Universalismus (118-128). II. Kritische Friedensforschung: Ulrich Albrecht: Staat und Krieg (134-150); Hanne-Margret Birkenbach: Warum kein Krieg? Ein Beitrag zur Kriegsursachenanalyse (151-165); Arend Wellmann: Bedingungen des Friedens und die Wirklichkeit der Föderation - Zur friedenswissenschaftlichen Analyse eines utopischen Universums (166-181); Elmar Altvater: Von der Schwierigkeit, Globalisierung zu verstehen - eine verhaltene Polemik (182-203); Dieter Senghaas / Eva Senghaas: Konstruktiver Pazifismus - Vom Internationalismus zur Weltordnungspolitik (204-214); Mohssen Massarat: Zivile Friedensräte für die Friedensbewegung (215-224); Karl Kumpfmüller: Neutralität und Bündnisfreiheit: Auf dem Weg zur militärfreien Friedenszone (225-236); Wolfram Wette: Weiße Raben. Profile pazifistischer Offiziere 1871-1933 (237-259). III. Kunst und Politik: Peter Kammerer: Antigone - Athenische Polis und griechische Tragödie - Gespräch mit Jean Marie Straub und Danièle Huillet (260-273); Reiner Steinweg: "Angewandte Literatur": Besehen auf Brecht - Kollektive Selbstreflexion gegen illegitime Staatsgewalt (274-289); Moshe Zuckermann: Kunst und das Politische - Ein Nachtrag zu Adorno (290-301); Hartmut Eggert: Reflexion und Tat. Zu Goethes Wanderjahren - Politisch-ästhetische Interpretationen. Eine Antwort (302-310); Hans-Jochen Gamm: Zu Goethe läßt sich kaum ohne Umwege gelangen (311-325); Theo Stammen: Über Goethes "Epochen geselliger Bildung" (1832) (326-335); Heinz Ickstadt: Imperium als Fiktion und Fiktion als Imperium: Melvilles Moby-Dick (336-349); Horst Meller: Politikstrategien und die List der göttlichen Vernunft in Miltons Paradise Lost - Die Sendung Raphaels (350-365); Günther Peters: Umwege literarischer Prosa in der Politik des Jahrhunderts - Sieben Erzähler (366-382); Irma Hanke: Eine geheimnisvolle Zeitkrankheit. Oder: Vom immergleichen Anbruch neuer Zeiten - Robert Musil und die Phänomenologie geistiger Bewegungen (383-394); Ruth E. Müller: Der Einsame Herrscher - Überlegungen zur Darstellung von Macht in der italienischen Hofoper des 18. Jahrhunderts (395-404); Hans Christoph Buch: Das gute Alte und das schlechte Neue - Wider den Populismus in der Kultur (405-410); Thomas Metscher: Anthropologie, Kultur, Kunstprozeß - Fragmente zu einer Ontologie der Künste (411-426). Krippendorf-Bibliographie (427-440).
Bernhard Stelzl (BhS)
Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 1.1 | 4.41 | 2.23 | 2.35 | 1.3
Empfohlene Zitierweise: Bernhard Stelzl, Rezension zu: Thomas Greven / Oliver Jarasch (Hrsg.): Für eine lebendige Wissenschaft des Politischen. Frankfurt a. M.: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/8233-fuer-eine-lebendige-wissenschaft-des-politischen_10855, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 10855
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Politikwissenschaftler.
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