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/ 06.06.2013
Heinrich Bußhoff

Gemeinwohl als Wert und Norm. Zur Argumentations- und Kommunikationskultur der Politik

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2001 (Konturen - Studien zur Neuorientierung politischer Leitkategorien 3); 162 S.; brosch., 31,- €; ISBN 3-7890-7677-5
Wird das Gemeinwohl wirklich "wieder zunehmend Gegenstand öffentlicher und politischer Diskussionen" (7), wie Bußhoff im ersten Satz seines Buches behauptet? Darüber ließe sich sicherlich streiten, gerade angesichts des Unbehagens, den viele Politiker und Bürger bei diesem Begriff empfinden. Aber der Autor bietet ein engagiertes Plädoyer dafür, warum es zumindest so sein sollte, warum das Gemeinwohl eine zentrale Kategorie des Politischen ist oder werden muss. In einer sich selbst in Frage stellenden Gesellschaft geht es ihm um das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, von Individualisierung und Entindividualisierung, von Entscheidung und Reflexivität der Politik, von Interesse und Gemeinwohl. Das ist ein großes Programm, aber die Frage nach dem Stellenwert des Gemeinwohls ist wohl notwendig eine Frage nach den Grundnormen des politischen Gemeinwesens. Bußhoff hat ein nachdenkliches und bedenkenswertes Buch geschrieben. Viele nur nebenbei eingeführten Sätze haben geradezu aphoristischen Charakter ("Der Bürger ist [...] als Gesellschaftsform des Individuums, der Politiker als Öffentlichkeitsform des Bürgers vorauszusetzen." [11]), viele Detailanalysen, etwa zur eingetragenen Partnerschaft (94 ff.), ordnen die Diskussion nach normativen Ebenen, die originell und luzide durchdacht sind. Bußhoff hat keinen Zweifel, dass Gemeinwohl in die Mitte des politischen Diskurses gehört. Aber was ist Gemeinwohl? Das ist auch hier nicht einfach zu beantworten, und dies könnte wiederum eine Ursache dafür sein, warum im öffentlichen Diskurs gerne ein Bogen um Gemeinwohlargumentationen genommen wird. Dies ist für Bußhoff "ein Beleg für ein Defizit der Argumentationskultur. Gemeint ist nicht ein mangelndes Wissen darüber, was als Gemeinwohl zu gelten habe, sondern eine vergleichsweise schwach ausgeprägte Bereitschaft und Fähigkeit, mit jenen Unsicherheiten und Ungewissheiten umzugehen." (130) Dieser Band jedenfalls stellt auf hohem Reflexionsniveau komplexe Fragen und hält die verbleibenden Unsicherheiten aus. Inhalt: Einleitung: Politik und Antipolitik. I. Gemeinwohl als Kategorie: 1. Strukturbedingung der Politik und ihre kategoriale Erfassung; 2. Strukturbedingung von Gemeinwohlorientierungen; 3. Voraussetzungen und Implikationen von Gemeinwohlorientierungen. II. Gemeinwohl als Konstituens des Politischen: 1. Das Soziale als das Politische; 2. Das Politische als "Programm" der Politik. Zwischenbemerkungen: Zur Kultur und Programmatik von Politik; III. Gemeinwohl als Argument und Kommunikat der Politik: 1. Gemeinwohl als Argument; 2. Gemeinwohl als Kommunikat.
Michael Dreyer (MD)
Prof. Dr., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.42 Empfohlene Zitierweise: Michael Dreyer, Rezension zu: Heinrich Bußhoff: Gemeinwohl als Wert und Norm. Baden-Baden: 2001, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/8807-gemeinwohl-als-wert-und-norm_18863, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 18863 Rezension drucken
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