Dieser Band der textkritischen Gesamtausgabe der Schriften Simmels enthält seine fünf letzten Einzelveröffentlichungen aus den Jahren 1917 und 1918. Darunter befindet sich die Sammlung von Aufsätzen und Reden "Der Krieg und die geistigen Entscheidungen" (erstmals erschienen 1917), die von besonderem politikwissenschaftlichem Interesse ist. Sie umfaßt vier Texte aus dem Zeitraum November 1914 bis September 1916: "Deutschlands innere Wandlung", "Die Dialektik des deutschen Geistes", "Die Krisis der Kultur" und "Die Idee Europa". Dabei entspricht die Anordnung der Texte nicht der Chronologie ihrer Abfassung, sondern der Absicht Simmels, "die Wandlung in der Beurteilung des Krieges von der vollen inneren Zuversicht aus der großen Zeit des ersten Kriegswinters [...] bis zu den zurückhaltenden Gedanken über den positiven Ertrag dieses Krieges" (9) vorzustellen. Tatsächlich hatte sich der Erkenntnisprozeß, der seine Beurteilung der Bedeutung des Krieges veränderte, im wesentlichen bereits bis zum Frühjahr des Jahres 1915 vollzogen, während die anschließend entstandenen Texte der weiteren Ausarbeitung und Darlegung der veränderten Einstellung Simmels dienten. In deren Zentrum steht die dringende Forderung nach einer umfassenden Verständigung der europäischen Nationen nach dem Krieg, den er als "Selbstmord Europas" empfand, als Zerstörung der "historischen Idee" der europäischen Kultur (430). Der postum erstmals veröffentlichte Text "Lebensanschauung" bietet dagegen eine umfassende Darlegung der metaphysischen Überlegungen, die Simmel 1918 zum Problem des "individuellen Gesetzes" anstellte. Darin geht er über die kantische Definition der Selbstverantwortung des freien Individuums hinaus, indem er ihm weiterhin die Aufgabe zuweist, die das Selbst bestimmenden Regeln zu produzieren und in seinen Handlungen zum Ausdruck zu bringen.