/ 03.06.2013
François Dosse
Geschichte des Strukturalismus. Band 2: Die Zeichen der Zeit, 1967-1991. Aus dem Französischen von Stefan Barmann
Hamburg: Junius 1997; 619 S.; 148,- DM; ISBN 3-88506-267-4Der Autor setzt die Geschichte des französischen Epochenphänomens fort, nachdem er im 1. Band (Das Feld des Zeichens, 1945-1966) die Anfänge des Strukturalismus bis zu seinem Höhepunkt 1966 dargestellt hatte. Dabei untersuchte er zunächst die Bemühungen um eine wissenschaftliche Fundierung der Linguistik und dann den Einzug des Strukturalismus als einer angestrebten universalen Methode über die Ethnologie und die Psychoanalyse in die Sozialwissenschaften.
"Die ersten Risse" (11) des Paradigmas haben ihren Ursprung wiederum in neuen Sichtweisen über das Wesen und die Struktur der Sprache: Die Anregung durch Chomskys generative Grammatik, Theorien der Äußerung, Intertextualität sowie die Auseinandersetzung mit der Tradition der analytischen Philosophie. "Am Vorabend des Mai 68 herrscht keine Langeweile im strukturalistischen Frankreich: Alle Augenblicke sprießt aus den Ritzen des Pariser Pflasters eine neue Theorie, die in Ermangelung einer Utopie die Welt noch einmal aus einer Topik errichtet. Die strukturalistische Betriebsamkeit scheint in der Tat den großen Umbruch der Modernität darzustellen, bis ein anderer, diesmal historischer Umbruch eintritt, der an ihren Gewißheiten rüttelt." (114) Die Bandbreite der Theoriediskussion reicht von dem philosophischen Streit zwischen Logozentrismus und analogisch-ästhetischer Weltanschauung, die Emanzipationsbestrebungen von Anthropologie und Soziologie überspannend, bis hin zur Auseinandersetzung mit der KPF und dem Maoismus sowie neueren Ansätzen in der politischen Ökonomie: der Regulationstheorie. Nach der "lange Zeit als unausweichlich hingestellten Alternative zwischen einem allmächtigen Subjekt und dem Tod desselben" (544) steht am Ende als möglicher Ausweg die Dialogik: das kommunikative Handeln. "Dialog als Möglichkeit, in der Ära des Relativen das Universelle zu leben, Dialog als Äußerung der Vernunft im Zeitalter des wiedererstarkenden Fundamentalismus - ein solches sowohl gesellschaftliches als auch wissenschaftliches Programm muß einen Weg aus dem Strukturalismus bahnen, ohne zu vergessen, daß er es war, der uns klar gemacht hat, daß Verständigung sich selbst nie vollständig transparent ist." (552) - "Keine Langeweile" herrscht bei der Lektüre der Präsentation einer Theoriegeschichte, die sich eher als "Diskursgeschichte" darstellt, auf ausführliche Zitate aus den einschlägigen Werken verzichtet, sich statt dessen auf zahlreiche persönliche Gespräche mit den Akteuren stützt und sich in der zeitgeschichtlichen Einordnung der widerstreitenden Ansätze zeitweise eines prosaischen Stils bedient, ohne sich dabei an langatmigen biographischen Vorreden aufzuhalten. Die detaillierte zusammenhängende Darstellung ist nicht als Nachschlagewerk konzipiert, jedoch wäre ein abschließendes Literaturverzeichnis zur weiteren Arbeit am Thema sehr nützlich gewesen.
Inhaltsübersicht: I. Die ersten Risse; II. Der Mai 68 und der Strukturalismus oder Das Mißverständnis; III. Der Strukturalismus zwischen Szientismus, Ästhetik und Geschichte; IV. Der Niedergang des strukturalistischen Paradigmas; V. Zeit, Raum und Dialogik.
Andreas Eis (AE)
Jun.-Prof. Dr., Didaktik des politischen Unterrichts und der politischen Bildung, Institut für Sozialwissenschaften Oldenburg, Fakultät I.
Rubrizierung: 5.42 | 5.2
Empfohlene Zitierweise: Andreas Eis, Rezension zu: François Dosse: Geschichte des Strukturalismus. Hamburg: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/2893-geschichte-des-strukturalismus_3800, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 3800
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Jun.-Prof. Dr., Didaktik des politischen Unterrichts und der politischen Bildung, Institut für Sozialwissenschaften Oldenburg, Fakultät I.
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