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/ 18.06.2015
Gregor Fitzi

Grenzen des Konsenses. Rekonstruktion einer Theorie transnormativer Vergesellschaftung

Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2015; 512 S.; geb., 49,90 €; ISBN 978-3-942393-81-2
Soziolog. Habilitationsschrift Potsdam; Begutachtung: E. Stölting. – Die Frage, was Gesellschaften zusammenhält, beschäftigt die (politische) Soziologie von ihren Anfängen bis heute. Zentral ist hierbei nicht zuletzt die Frage der Rechtsgeltung, die bereits bei Durkheim und Weber im Mittelpunkt ihrer Studien stand und später prominent unter anderem von Böckenförde, Habermas und Luhmann aufgegriffen worden ist. Der analytischen Unterscheidung zwischen normativer und empirischer Geltung des Rechts liegt dabei die Vorstellung zugrunde, Gesellschaften seien nur vor dem Hintergrund einer (wodurch auch immer begründeten) normativen Integration überlebensfähig. Diese sei jedoch, so argumentiert Gregor Fitzi, in von Migrationsbewegungen, Multikulturalismus oder Säkularisierungsprozessen geprägten Gegenwartsgesellschaften immer schwieriger herzustellen. Zugleich lasse sich zwar eine Zunahme an politischen und sozialen Konflikten beobachten, diese jedoch gingen nicht mit einer nennenswerten Abnahme an sozialer Kohäsion, geschweige denn einem Zusammenbruch der modernen westlichen Gesellschaften, einher. Die Frage steht somit im Raum, welche Mechanismen den Zusammenhalt von Gesellschaften in Zeiten schwindender gemeinsamer Orientierungsmuster garantieren. In einer detaillierten theoriehistorischen Rekonstruktion beantwortet Fitzi diese Frage mit dem Entwurf einer Theorie transnormativer Vergesellschaftung, die insbesondere auf Tönnies' Umdeutung des Konsensbegriffes, Simmels Vergesellschaftungsbegriff und Webers Idealtypus des Einverständnishandelns fußt. Im Mittelpunkt steht dabei die Vorstellung eines transnormativen Konsenses, der sich nicht mehr länger auf ein unverrückbares und gemeinschaftlich geteiltes Wertegebäude stützt, sondern der Dynamik und Kontingenz asymmetrischer sozialer Beziehungen gerecht wird, indem er die Beziehungen zwischen Handelnden und Duldenden auf eine flexible, zeiträumlich begrenzte Grundlage stellt. Erst wenn „das Duldungspotenzial transnormativen Konsenses erschöpft [ist], ohne dass entsprechende kognitive Enttäuschungsabwicklungsverfahren eintreten, schaltet sich die Vergesellschaftungsform des Konfliktes ein“ (476). Zwar ließen sich durchaus einige Grundannahmen dieser Schrift hinterfragen und mit alternativen Thesen behaften. Insgesamt aber legt der Autor mit diesem Buch nicht nur eine umfassende Neubewertung soziologischer Theoriegeschichte vor, sondern liefert zugleich einen Ausgangspunkt für ein neues Nachdenken über politische Gegenwartsgemeinschaften.
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Rubrizierung: 5.42 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Gregor Fitzi: Grenzen des Konsenses. Weilerswist: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/38534-grenzen-des-konsenses_45568, veröffentlicht am 18.06.2015. Buch-Nr.: 45568 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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