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/ 31.10.2013
Gerald Steinacher

Hakenkreuz und Rotes Kreuz. Eine humanitäre Organisation zwischen Holocaust und Flüchtlingsproblematik

Innsbruck/Wien/Bozen: Studien Verlag 2013; 211 S.; geb., 24,90 €; ISBN 978-3-7065-4762-8
Laut Statuten kümmert sich das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) um Kriegsgefangene und Verwundete und leistet Hilfe in Katastrophenfällen. Dabei bemüht es sich, die schlimmsten Auswirkungen abzumildern, klagt jedoch die für die Situation Verantwortlichen kaum öffentlich an. Trotz dieser schwierigen und nicht immer befriedigend austarierten Gratwanderung hat die seit 150 Jahren bestehende private Genfer Organisation mit öffentlichem Anspruch viele Unterstützer und Anhänger gefunden. Die Geschichte des Roten Kreuzes hat aber keineswegs nur Erfolge zu verzeichnen. In die bisher tiefste Krise stürzte es, als bekannt wurde, dass es für Tausende Nationalsozialisten aktiv Fluchthilfe geleistet hatte. Gerald Steinacher legt die Haltung der Hilfsorganisation zum Nazi‑Regime, die Hintergründe des Schweigens, die Gründe der erst spät einsetzenden Hilfsmaßnahmen für Nazi‑Opfer sowie die aktive Hilfe für NS‑Täter offen. So gab es unter führenden Persönlichkeiten des IKRK zwar auch antisemitische Tendenzen und Sympathien für faschistische oder autoritäre Regime, aber der Hauptgrund für die sehr zögerliche Haltung des IKRK in Bezug auf die bereits bekannte Judenverfolgung sei politischer Natur gewesen: „Nach Kriegsausbruch 1939 und den Anfangssiegen der Wehrmacht war die neutrale Schweiz in Europa bald auf sich allein gestellt. Mit einer Politik der flexiblen Anpassung versuchte sie ihre Neutralität, aber vor allem ihre Freiheit und Unabhängigkeit gegenüber dem ‚Dritten Reich‘, zu retten.“ (30). Das Ausstellen von Reisedokumenten für Nationalsozialisten durch das Rote Kreuz wiegt extrem schwer, doch kann Steinacher in seinem Buch den größeren Kontext dieser problematischen Hilfsmaßnahme rekonstruieren: Da insbesondere den sogenannten Volksdeutschen nicht einmal von der Internationalen Flüchtlingsorganisation geholfen wurde, stellte das IKRK ihnen improvisierte Reisescheine aus, „war aber […] rasch überfordert“ (128), sodass die als Reisepässe behandelten Dokumente vielfach missbraucht werden konnten. Wenngleich Steinachers Buch schonungslos Tatsachen zutage fördert, ist es „keine Anklage, sondern der Versuch zu verstehen“ (13). Bei der Rekonstruktion der Rolle des IKRK während der Nazizeit halfen führende Persönlichkeiten des Roten Kreuzes durch offene und ausführliche Gespräche mit.
Ines Weber (IW)
M. A., Politikwissenschaftlerin (Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin), wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften, Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Rubrizierung: 4.14.3 Empfohlene Zitierweise: Ines Weber, Rezension zu: Gerald Steinacher: Hakenkreuz und Rotes Kreuz. Innsbruck/Wien/Bozen: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/36349-hakenkreuz-und-rotes-kreuz_44219, veröffentlicht am 31.10.2013. Buch-Nr.: 44219 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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