/ 08.05.2014
Lutz Hachmeister
Heideggers Testament. Der Philosoph, der SPIEGEL und die SS
Berlin: Propyläen Verlag 2014; 368 S.; geb., 22,95 €; ISBN 978-3-549-07447-3„Er erweist sich dabei als ausgesprochenes Talent für Halbwahrheiten und härteste kognitive Konsonanz[,…] bei ihm wird der Nationalsozialismus vollständig entindividualisiert [sic]. Jede Form moralischer Reflexion lehnt Heidegger konsequent ab“ (253). So beurteilt der Historiker Lutz Hachmeister das prominente Spiegel‑Interview, dass Rudolf Augstein 1966 mit dem Philosophen Martin Heidegger über dessen NS‑Vergangenheit führte. Hachmeister zeigt die Vorgeschichte des Interviews auf, erklärt die Hintergründe aller beteiligten Personen, das Umfeld, das Zustandekommen und schließlich die öffentliche Rezeption des Gesagten – posthum, da das Gespräch selbst erst nach dem Tod des Denkers publiziert werden durfte. Schlüssig zeigt er in dieser „Biographie eines Interviews“ (12) auf, dass es sich nicht um ein Bekenntnis‑, sondern ein Trophäen‑Gespräch handelte – Augstein habe schlicht und ergreifend ein Interview mit Heidegger gewollt, um seine Karriere zu krönen. Das äußerte sich auch in dem servilen Befragungston, den Hachmeister mit den Originaldokumenten belegt. Er beurteilt Heideggers Geisteshaltung, die sich in dem Interview latent ausdrückt, wie folgt: „[E]r sieht die Deutschen als Hüter des Abendlandes in die Zange genommen von amerikanischer Plutokratie und östlichem Bolschewismus, damit auch internationalem Judentum“ (42). Heidegger selbst hatte sich lange gegen ein Interview gesträubt, er verachtete Journalisten, „man könnte die Journalisten‑ und Intellektuellenkritik des Propagandisten Joseph Goebbels danebenstellen und würde bis ins Vokabular hinein keine großen Unterschiede finden“ (56). Heidegger betrachtete das Nachrichtenmagazin zudem aufgrund dessen Nähe zur Frankfurter Schule kritisch, sagte aber schlussendlich aus Sympathie zu Rudolf Augstein und angesichts des sanften Drucks aus seinem persönlichen Umfeld zu. Am Ende stand ein Interview, das wegen mangelnden Willens und Könnens der Interviewer zu einem eindeutigen Sieg des Philosophen wurde: Heidegger schaffte es, durch „Halbwahrheiten und Beschönigungen sowie Retuschen“ (246) die Redakteure des Spiegels an der Nase herumzuführen. Lutz Hachmeister hat ein durch und durch detailliert recherchiertes Werk geschaffen, das allen an der Geschichte Nachkriegsdeutschlands Interessierten ans Herz gelegt werden kann.
Vincent Wolff (VW)
Student der Politikwissenschaft, Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie, Universität Bonn.
Rubrizierung: 2.313 | 2.333 | 5.46 Empfohlene Zitierweise: Vincent Wolff, Rezension zu: Lutz Hachmeister: Heideggers Testament. Berlin: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/37066-heideggers-testament_45549, veröffentlicht am 08.05.2014. Buch-Nr.: 45549 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenStudent der Politikwissenschaft, Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie, Universität Bonn.
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