/ 03.06.2013
Daniel Jonah Goldhagen
Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust. Aus dem Amerikanischen von Klaus Kochmann
Berlin: Siedler Verlag 1996; 729 S.; Ln., 59,80 DM; ISBN 3-88680-593-XIn seiner umfassenden Untersuchung möchte Goldhagen "die Erforschung des Holocaust von unpersönlichen Institutionen und abstrakten Strukturen auf die Täter selbst verlagern, auf die Menschen, die die Verbrechen verübten, und auf die Gesellschaft, aus der diese Männer und Frauen kamen" (5). Goldhagen betont im Vorwort zur deutschen Ausgabe, er habe mit seiner Untersuchung keineswegs bezweckt, den "'Nationalcharakter der Deutschen'" (6) zu beschreiben. In der Tat ist eine solche Klarstellung für den Leser notwendig, denn in seiner Einleitung schreibt Goldhagen ohne jegliche Differenzierung von "den" Deutschen, die den Holocaust betrieben hätten. Er lehnt zwar "unangemessene und vernebelnde Etikettierungen wie 'Nazis' oder 'SS-Männer'" ab, will die Täter aber undifferenziert "als das bezeichnen, was sie waren, nämlich Deutsche" (19). Goldhagen erkennt einen deutschen Sonderweg für den deutschen Antisemitismus, den er einen "eliminatorischen Antisemitismus" (71) nennt.
Es ist Goldhagens Stärke, seine Ergebnisse interessant zu präsentieren: Es wird deutlich, daß die Täter in der Tat "ganz gewöhnliche Deutsche" gewesen sind. Er macht deutlich, daß es eben nicht nur einen Antisemitismus der Eliten gegeben hat, dem der durchschnittliche Deutsche ahnungslos folgte. Aber so bestechend die Fülle von Informationen über die Polizeibataillone, die Vernichtungslager und die Todesmärsche sind, um so mehr gewinnt man den Eindruck, daß sich Goldhagens Untersuchung zur Tätergruppe auf eine quantitative Analyse reduzieren läßt: Wieviele deutsche Täter sind genug, um den Antisemitismus als konstituierend für diese Gesellschaft zu erkennen? Goldhagen arbeitet z. B. im Kapitel über die Polizeibataillone nach einer induktiven Methode: Da Befehlsverweigerung nicht zwangsläufig bestraft wurde, weshalb wurde sie nicht öfter praktiziert, als es tatsächlich bekannt ist? Hier zeigt sich ein grundlegendes Problem von Goldhagens Interpretation des deutschen Antisemitismus; er ignoriert die menschliche Grundhaltung in einer Diktatur. Daß es nur wenige Zeugnisse einer Opposition gegen den Antisemitismus gibt, wertet Goldhagen als Indiz für einen grundlegenden Antisemitismus der deutschen Volksseele. Mitläufer, Desinteressierte an der "Judenfrage" tauchen in Goldhagens historischer Analyse nicht auf. Insofern verliert seine Perspektive an Überzeugungskraft, da er sich nur wenig für die Qualität des Antisemitismus interessiert.
Aus dem Inhalt: I. Antisemitismus in Deutschland: Der Drang zur Ausschaltung; II. Das eliminatorische Programm und seine Institutionen; III. Polizeibataillone: Deutsche Normalbürger als willige Mörder; IV. Jüdische "Arbeit" bedeutet Vernichtung; V. Todesmärsche: Bis zum bitteren Ende; VI. Eliminatorischer Antisemitismus, gewöhnliche Deutsche, willige Vollstrecker.
Axel Gablik (AG)
Dr., Historiker.
Rubrizierung: 2.312 | 2.35
Empfohlene Zitierweise: Axel Gablik, Rezension zu: Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Berlin: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/1783-hitlers-willige-vollstrecker_2049, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 2049
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Dr., Historiker.
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