/ 18.02.2016
Raimund Wolfert
Homosexuellenpolitik in der jungen Bundesrepublik. Kurt Hiller, Hans Giese und das Frankfurter Wissenschaftlich-humanitäre Komitee
Göttingen: Wallstein Verlag 2015 (Hirschfeld-Lectures 8); 72 S.; brosch., 9,90 €; ISBN 978-3-8353-1727-7Nur wenige Jahre nach dem Ende des NS‑Regimes wurden in der Bundesrepublik Deutschland um 1950 wieder Versuche unternommen, eine Homosexuellenbewegung aufzubauen. Zu den Protagonisten dieser Bewegung zählten unter anderem Hans Giese und Kurt Hiller. Sie unterhielten von Mitte 1949 bis Anfang 1950 einen Briefwechsel, der nach Ansicht des Autors Auskunft über die „Auseinandersetzungen um Grundsatzpositionen und zu tätigende Weichenstellungen für eine Bündnispolitik der Homosexuellenbewegung unter den Gegebenheiten der jungen Bundesrepublik Deutschland“ (15) gibt. Wie Raimund Wolfert zeigt, traten mit Giese und Hiller zwei völlig unterschiedliche Männer in Kontakt: Kurt Hiller war vor 1933 aktives Mitglied und später auch stellvertretender Vorsitzender des „Wissenschaftlich‑humanitären Komitees (WhK)“, das 1897 von Magnus Hirschfeld gegründet worden war. Während des NS‑Regimes wurde er verfolgt und war in verschiedenen Lagern inhaftiert, bis ihm die Flucht ins Exil gelang. Giese wiederum hatte sich als Student der NSDAP angeschlossen und keine Verfolgungserfahrungen machen müssen. In der jungen Bundesrepublik ging von ihm mit der Neugründung des WhK einer der ersten Anstöße zum Aufbau einer neuen Homosexuellenbewegung aus. Als Giese sich per Brief an Hiller wandte, um Rat und Hilfe einzuholen, zeigte sich Hiller von Gieses Initiative zunächst noch angetan. Doch Wolfert zeigt, dass sich diese Einstellung rasch änderte. Über die Ziele und die Strategie der Bewegung entzündete sich ein Konflikt zwischen den beiden Männern. Während Giese im Kampf um die Revision des Sonderstrafrechts für Homosexuelle (Paragraph 175 StGB) bereit war, Zugeständnisse an die Justiz zu machen, lehnte Hiller dies ab. Hiller kritisierte darüber hinaus alle Versuche von Giese und weiteren Protagonisten, die neue Bewegung auf eine breitere Basis zu stellen. Seine Vorstellung von der neuen Bewegung war zentralistischer, elitärer geprägt. Die Differenzen führten schließlich dazu, dass Hiller mit Giese brach.
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Rubrizierung: 2.313 | 2.343 | 2.35 | 2.331 Empfohlene Zitierweise: Jessica Burmester, Rezension zu: Raimund Wolfert: Homosexuellenpolitik in der jungen Bundesrepublik. Göttingen: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/39414-homosexuellenpolitik-in-der-jungen-bundesrepublik_47897, veröffentlicht am 18.02.2016. Buch-Nr.: 47897 Rezension druckenCC-BY-NC-SA