/ 22.06.2013
Mark Terkessidis
Interkultur
Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2010 (edition suhrkamp 2589); 221 S.; 13,- €; ISBN 978-3-518-12589-2Die verbreiteten Ideen vom Deutschsein seien mittlerweile „so altbacken, dass selbst die Einheimischen ihre Lebensweisen darin nicht mehr unterbringen können“ (7), schreibt Terkessidis. Auch das Volk habe sich dramatisch verändert, in den großen Städten seien heute mehr als ein Drittel der Bewohner nichtdeutscher Herkunft. Diese Vielheit sollte der Ausgangspunkt für eine andere Idee der deutschen Bevölkerung sein. Terkessidis möchte aber nicht mehr mit dem Begriff des Multikulturalismus hantieren, sondern spricht von Interkultur, also einer „Kultur-im-Zwischen“ (10). Er versteht diese Interkultur als ein politisches Programm, das die Vielheit in einer Einwanderungsgesellschaft als gegeben annimmt und nicht auf eine fiktive Harmonie (durch Anpassung) drängt. Das Ziel ist eine Barrierefreiheit, die der Autor ganz pragmatisch dem Umgang mit behinderten Menschen entlehnt: So wie für Rollstuhlfahrer eine Rampe gebaut wird, damit sie in ein Haus gelangen können, sollten auch für Einwanderer Barrieren abgebaut und damit der Eintritt in die Gesellschaft ermöglicht werden. Entscheidend ist für den Autor, dass die Einwanderer als Individuen wahrgenommen werden. Im ersten Schritt gehe es folglich darum, „die eigenen Bestände an ‚rassistischem Wissen’ oder die eigenen ‚kulturellen Kurzschlüsse’“ (135) zu verlernen. Zur Umsetzung der Interkultur fordert Terkessidis, „dass die Institutionen sich so verändern, dass sie den Individuen, egal welche Unterschiede sie mitbringen oder ihnen zugeschrieben werden, Barrierefreiheit ermöglichen“ (141). Konkret könnte dies durch explizite Organisationsprinzipien geschehen, etwa im Sinne einer Betriebsvereinbarung, durch Quoten nicht nur für Frauen, sondern auch für Menschen mit Migrationshintergrund oder auch durch die Schaffung materieller Grundlagen, angefangen etwa mit der Ausstattung einer Bibliothek mit Romanen aus anderen Ländern. Auf jeden Fall ist Terkessidis der Meinung, das die „ewige Suche nach dem Eigenen [...] so unkreativ wie langweilig“ (219) geworden ist – und es in der durch die Einwanderung neu entstandenen Gemeinschaft sowieso keine gemeinsame Vergangenheit mehr gebe. „Was existiert, ist die gemeinsame Zukunft.“ (220)
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.35 | 5.42
Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Mark Terkessidis: Interkultur Frankfurt a. M.: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/32497-interkultur_38785, veröffentlicht am 02.08.2010.
Buch-Nr.: 38785
Inhaltsverzeichnis
Rezension drucken
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
CC-BY-NC-SA