/ 21.06.2013
Joseph Cohen / Raphael Zagury-Orly (Hrsg.)
"Judentümer" Fragen für Jacques Derrida. Aus dem Französischen von Ulrich Müller-Schöll
Hamburg/Berlin: Philo 2006; 318 S.; brosch., 29,80 €; ISBN 978-3-86572-630-8Noch „nie hat mich das Privileg eines offensichtlich mir gewidmeten Kolloquiums so sehr eingeschüchtert, beunruhigt, blockiert und mich sogar dem Gefühl überlassen, dass ein großes Missverständnis vorliegt“ (13), sagte Derrida zum Auftakt der Veranstaltung, die im Dezember 2000 in Paris stattfand. Damit klingt keine (falsche) Bescheidenheit an, vielmehr verweist er auf die Komplexität des Themas – inwieweit spielt seine eigene Biografie eine Rolle für sein Werk, was bedeuten Unterscheidungen zwischen Judentum und Judaismus und welcher Schlüssel zum Verständnis verbirgt sich hinter dem Plural der „Judentümer“? Die Beiträge der verschiedenen Philosophen nehmen diese Fragen auf wie etwa Moshé Idel, der den Ursprüngen von Derridas „Dekonstruktion“ in der Kabbala nachgeht. „Meine Lesart der Geschichte der Textauffassung, die in Derridas Dekonstruktion gipfelt, würde diese als Teil des fortdauernden und daher noch unabgeschlossenen Säkularisierungsprozesses fassen“ (174), schreibt Idel, wobei nicht nur eine Vielfalt, sondern sogar eine Unendlichkeit von Sinn weiter bestehe. Jürgen Habermas wendet die philosophische Frage, wo genau die Trennungslinie zwischen Heidegger und Derrida verläuft, in eine politische und zeigt verbunden damit die Probleme der Politischen Theorien der Gerechtigkeit auf, Argumente für die Frage zu finden, warum überhaupt der Mensch moralisch handeln soll. Den Grund der Probleme sieht er in einer selbst auferlegten Enthaltsamkeit, an deren Anfang die Trennung von Ethik und Moral gestanden habe. Ausgehend von einem Rückgriff auf die Vorstellungen Kierkegaards skizziert er Ansätze der Herausbildung eines ethischen Selbstverständnisses (ohne Kierkegaards Anbindung an Gott aufzunehmen) und kommt schließlich bezogen auf Derrida zu der Annahme, dass dessen Aneignung von Heideggers Spätphilosophie einem theologischen, jüdischen Hintergrund verhaftet sei. Zu den weiteren Themen gehört ferner Hent de Vries’ lesenswerte Analyse der „Rückkehr des ‚Religiösen’ als entscheidender Faktor auf der geopolitischen Bühne“ (284).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 5.42 | 2.23
Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Joseph Cohen / Raphael Zagury-Orly (Hrsg.): "Judentümer" Hamburg/Berlin: 2006, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/26805-judentuemer_31272, veröffentlicht am 27.03.2008.
Buch-Nr.: 31272
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