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/ 03.06.2013
Wolfgang van den Daele / Friedhelm Neidhardt (Hrsg.)

Kommunikation und Entscheidung. Politische Funktionen öffentlicher Meinungsbildung und diskursiver Verfahren

Berlin: edition sigma 1996 (WZB-Jahrbuch 1996); 406 S.; geb., 49,80 DM; ISBN 3-89404-292-3
Im Jahrbuch (hrsg. vom Wissenschaftszentrum Berlin) werden kommunikations- und entscheidungstheoretische Aspekte zur Funktion der "öffentlichen Meinung" unter der theoretischen Perspektive der "Regierung durch Diskussion" (Barker 1948) und der "Deliberation" betrachtet. Unter Deliberation verstehen die Herausgeber schlicht die argumentative Auseinandersetzung, die sich primär auf die Öffentlichkeit richtet, aber auch Bestandteil von Verhandlungen zwischen Interessenvertretern bzw. Entscheidungsträgern ist. Die Leitfrage des Bandes ist angesichts eines steigenden Kommunikations- und Kooperationsbedarfs, in welchen Formen und in welchem Umfang sich Deliberation in der Öffentlichkeit auf die Deliberation in den Institutionen des Entscheidungssystems und umgekehrt auswirken kann (Daele / Neidhardt: 11 ff.). Die Ergebnisse erscheinen zunächst nicht spektakulär, vermitteln aber ein umfassendes und fundiertes Bild vom Stand der Diskussion und führen zu klaren Stellungnahmen: Öffentliche Protestaktionen haben "eine agendabildende Rolle" (Rucht: 163). Die massenmediale Öffentlichkeit (Thema von Fuchs / Pfetsch, Gerhards, Koopmans, Neidhardt) kann für Protestaktionen - wie für andere Ereignisse - eine breite Resonanz erzeugen und hat deshalb Einfluß auf die politischen Entscheidungsträger; sie kann aber kein Forum sein, in dem kontinuierliche Argumentationsprozesse stattfinden und Entscheidungsoptionen herausgearbeitet werden. Dies wiederum ist zumindest von partizipativ angelegten Verfahren zu erwarten, die einem kooperativen Politikstil entsprechen: alternative Konfliktregelung, besondere Verfahren eines technikpolitischen Diskurses und Konfliktregelung durch Mediation (Weidner, van den Daele, Fietkau, Holzinger). Die Herausgeber betrachten partizipative Verfahren - auch als Ergebnis des Bandes - kritisch: Es wird zwangsläufig eine Trennung zwischen den Formen gesellschaftlicher Kommunikation und dem Entscheidungssystem bestehen bleiben, denn 1. sind "diejenigen, die faktisch kommunizieren können, [...] fast nie diejenigen, die normativ entscheiden sollen", also ein demokratisches Mandat haben. 2. "Die Bildung der Bürger wird die Professionalisierung der Politik nicht ersetzen können." (42 f.) 3. Die Legitimationsgewinne durch einen höheren Grad an Partizipation steigern keineswegs die Akzeptanz der dann letztlich doch hierarchisch entschiedenen Streitfragen, sondern mindert sie eher. 4. Partizipative Verfahren sind außerordentlich aufwendig. 5. Man muß von einem trade-off, also einer negativen Abhängigkeit zwischen Partizipation und Entscheidungsfähigkeit ausgehen (46 ff.). Inhalt: I. Einleitung: Wolfgang van den Daele / Friedhelm Neidhardt: "Regieren durch Diskussion" - Über Versuche, mit Argumenten Politik zu machen (9-50). II. Öffentlichkeit und Politik: Friedhelm Neidhardt: Öffentliche Diskussion und politische Entscheidung. Der deutsche Abtreibungskonflikt 1970-1994 (53-82); Jürgen Gerhards: Soziale Positionierung und politische Kommunikation am Beispiel der öffentlichen Debatte über Abtreibung (83-102); Dieter Fuchs / Barbara Pfetsch: Die Beobachtungen der öffentlichen Meinung durch das Regierungssystem (103-135). III. Protest und Gewalt im politischen Prozeß: Dieter Rucht: Massenproteste und politische Entscheidungen in der Bundesrepublik (139-166); Ruud Koopmans: Asyl: Die Karrieren eines politischen Konflikts (167-192). IV. Formen, Funktionen und Probleme deliberativer Verfahren: Helmut Weidner: Freiwillige Kooperationen und alternative Konfliktregelungsverfahren in der Umweltpolitik. Auf dem Weg zum ökologisch erweiterten Neokorporatismus? (195-231); Katharina Holzinger: Grenzen der Kooperation in alternativen Konfliktlösungsverfahren: Exogene Restriktionen, Verhandlungsleitlinien und Outside Options (232-274); Hans-Joachim Fietkau: Kommunikationsmuster und Kommunikationserwartungen in Mediationsverfahren (275-296); Wolfgang van den Daele: Objektives Wissen als politische Ressource: Experten und Gegenexperten im Diskurs (297-367). V. Öffentlichkeit im Recht: Alfons Bora: Inklusion und Differenzierung. Bedingungen und Folgen der "Öffentlichkeitsbeteiligung" im Recht (371-406).
Stefan Lembke (SL)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.3332.222.212.3415.22.3232.343 Empfohlene Zitierweise: Stefan Lembke, Rezension zu: Wolfgang van den Daele / Friedhelm Neidhardt (Hrsg.): Kommunikation und Entscheidung. Berlin: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/2862-kommunikation-und-entscheidung_3768, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 3768 Rezension drucken
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