/ 03.06.2013
Klaus-Michael Mallmann
Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung. Mit einem Vorwort von Wilfried Loth
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1996; XVI, 552 S.; geb., 98,- DM; ISBN 3-534-13045-6"Die Geschichte des deutschen Kommunismus ist dominant die eines Dogmas ohne Menschen, einer Apparatherrschaft ohne Subjekte" (1). Diese Sichtweise durchbricht Mallmann. Nachdem sich nach der Wende die Archive geöffnet haben, ist nun auch der Blick von unten möglich. Mallmann gelingt es dabei zu zeigen, wie stark in der KPD "Traditionslinien der wilhelminischen Arbeiterbewegung nachwirkten und wie sehr die alleinige Sicht auf Moskauer Interessen und Berliner Beschlußlagen die Realitäten verdunkelt" (381). "Denn die Parteibasis betrieb immer auch ihre eigene Politik, die sich am Maßstab eigener Organisationsentfaltung orientierte und in hohem Maße lokalspezifischen Konstellationen unterworfen war" (385), oder: "Revolutionär zu sein in nichtrevolutionärer Zeit zwang darum zu Kompromissen" (381).
Inhalt: 1. Das reduzierte Phänomen. Forschungsdefizite, Perspektiven und konzeptioneller Zugang. 2. Nischengesellschaft oder rote Armee? Weichenstellungen und Widersprüche des Weimarer Kommunismus: 2.1 Das Ausgangsdilemma: Verspätete Radikalisierung und verpaßter Umsturz; 2.2 Revolutionäre in nichtrevolutionärer Zeit: Wilhelminischer Traditionsüberhang und erzwungener Attentismus; 2.3 Das neue Paradigma: 'Stalinisierung' oder die Geburt der Avantgarde? 3. Die Anatomie der Partei. Sozialprofile und Binnenstrukturen: 3.1 Zyklen der Mitgliederbewegung: Entwicklungsschübe, Größenordnungen und Fluktuation; 3.2 Soziale Homogenität im klassenparteilichen Ghetto: Beruf, Qualifikation und Erwerbslosigkeit; 3.3 Kollektive Traumata: Generationelle Schichtung und lebensgeschichtliche Erfahrung; 3.4 Weltanschauliche Prägungen: Politische Herkunft, Konfession und Dissidenz; 3.5 Die Partei kämpft wie ein Mann: Weibliches Defizit, familialer Raum und männerbündische Gemeinschaft; 3.6 Die professionelle Avantgarde: Führungspersonal und Leitungsmethoden; 3.7 Die relative Autonomie der Basis: Modalitäten des Parteialltags (S. 154). 4. Integration und Präsentation. Die Medien der Mehrheitsbeschaffung: 4.1 Stammtisch und Steckenpferd: Links-proletarische Vereinsmeierei; 4.2 Der ausbleibende Nachwuchs: Jugendverband und Arbeiterjugend; 4.3 Demonstrationsarmee der Partei: Der Rote Frontkämpferbund; 4.4 Das Reich der Tagesnöte und Teilforderungen: Gewerkschaftliche Verankerung und betrieblicher Rückhalt; 4.5 Die Macht des Wortes: Presse, Schulung und Lektüre; 4.6 Festinszenierung, Andachtsritus und Totenkult: Die Liturgie des kommunistischen Kirchenjahres; 4.7 Das gelobte Land: Die Utopie des vormundschaftlichen Staates; 4.8 Die Feldzeichen der Revolution: Ikonographie und symbolische Politik. 5. Gräben und Brückenschläge. Die Position der Kommunisten in der lokalen Gesellschaft: 5.1 Cleavage und Elektorat: Hegemoniefähigkeit auf fragmentiertem Terrain; 5.2 Viertel, Quartier und Nachbarschaft: Die sozialräumliche Dimension; 5.3 Haßgeliebter großer Bruder: Das Verhältnis zur Sozialdemokratie; 5.4 Don Camillo und Peppone? - Die Kluft zum katholischen Milieu; 5.5 Respektabilität und Ehrbarkeit: Konsenszonen örtlicher Öffentlichkeit. 6. Die Revolution als Kopfgeburt. Kommunistische Politik im Spannungsfeld zwischen Beschlußlage und lokaler Wirklichkeit: 6.1 Potemkinsche Dörfer: Das Debakel der Betriebszellen; 6.2 Kleinarbeit und Kompromiß: Radikaler Pragmatismus in den Gewerkschaften; 6.3 Rote Kirchturmspolitik: Heimlicher Kommunalsozialismus und örtliche Interessenvertretung; 6.4 Fraktionskampf oder Strukturkonflikt? - Innerparteiliche Frontlinien und politische Positionen; 6.5 "Die Straße frei den braunen Bataillonen"? - Nationalsozialistische Bedrohung und antifaschistische Einheitsfront; 7. Politische Spielräume, Milieueinbindung und Milieuerosion. Eine Bilanz 'von unten'.
Heinz-Werner Höffken (Hö)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg.
Rubrizierung: 2.311 | 2.331
Empfohlene Zitierweise: Heinz-Werner Höffken, Rezension zu: Klaus-Michael Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik. Darmstadt: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/1142-kommunisten-in-der-weimarer-republik_1149, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 1149
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Dr., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg.
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