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/ 10.12.2015
Achille Mbembe

Kritik der schwarzen Vernunft. Aus dem Französischen von Michael Bischoff

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2014; 332 S.; geb., 28,- €; ISBN 978-3-518-58614-3
Angesichts der neoliberalen Globalisierung, die in eine Verfügbarkeit von allem mündet, verschieben sich Grenzen, das Altbekannte löst sich auf. So ist etwa Europa weder in politischer noch in ökonomischer Hinsicht auch nur noch annähernd „das Gravitationszentrum der Welt“ (11). Die „soziale und technische Maschine“ (22) neoliberaler Gouvernementalität führe zu einer Abkehr von unveräußerlicher Individualität, von menschlicher Würde und an ihre Stelle trete, so Achille Mbembe, die beliebige Austauschbarkeit von Funktionsträgern: „Diese neue Fungibilität, diese Löslichkeit, deren Institutionalisierung als neue Daseinsnorm und ihre Generalisierung für den gesamten Planeten meinen wir, wenn wir sagen, die Welt werde schwarz.“ (21) Mbembe, der als einer der bedeutendsten Theoretiker des Postkolonialismus gilt und der mit diesem Band den diesjährigen (2015) Geschwister‑Scholl‑Preis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels gewann, vertritt damit eine radikale Gegenwartskritik. Koloniale Subjektivierung mit all ihren unmenschlichen Konsequenzen tritt nicht nur in der Diaspora auf, sondern überall, insofern kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse die gesellschaftlichen Bedingungen diktieren. Schwarz zu sein ist demnach gleichbedeutend mit der Zuerkennung eines sozialen Status, unabhängig von der Hautfarbe. Schwarz zu sein bedeutet Verfügungsmasse zu sein, anpassbar, ausbeutbar, funktional – und im Zweifelsfall ebenso verzicht‑ wie ersetzbar. Anstelle dieser Ausbeutungsverhältnisse, die Mbembe in seinem Buch theoretisch durchdringt, vertritt er in normativer Perspektive ein Projekt der Gemeinsamkeit. Damit ist keineswegs eine totale Nivellierung der menschlichen Verhältnisse gemeint, wie sie der zeitgenössische Kapitalismus erzwingt. Stattdessen geht es im menschenwürdigen Sinne um die ebenso universelle wie wechselseitige Anerkennung von Differenz, die auf der ebenso wechselseitigen Hoffnung gründet, nicht ausgebeutet oder entrechtet zu werden. Und so kann Mbembe schlussfolgern: „Die Geburt des Rassensubjekts – und damit des Negers – steht im Zusammenhang mit der Geschichte des Kapitalismus.“ (325) Jenseits dessen bestehe eine für alle Menschen gleichermaßen gerechte Zukunft in der „Wiedererlangung dieses Anteils an der Menschlichkeit“ (332), der gegenwärtig durch Rasse, Ressentiments und das Bedürfnis nach Rache überlagert werde. Darin spiegelt sich nicht zuletzt auch die Hoffnung, aus den Kolonialismen der Vergangenheit gelernt zu haben. Ob diese Hoffnung zukunftsträchtig ist, wird sich erst noch erweisen müssen.
{LEM}
Rubrizierung: 5.422.23 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Achille Mbembe: Kritik der schwarzen Vernunft. Frankfurt a. M.: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/39167-kritik-der-schwarzen-vernunft_46629, veröffentlicht am 10.12.2015. Buch-Nr.: 46629 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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