/ 06.02.2014
Angelika Gravert
Lernen in der Revolte. Das griechische Bildungssystem und seine ideologische Bedeutung
Hamburg: VSA 2013; 140 S.; 10,80 €; ISBN 978-3-89965-573-5„Die Griechen ‚sind nicht nur ein Opfer ihres Erbes, sondern auch ein Opfer des rückwärtsgewandtesten Erziehungssystems der Welt, das in seiner Kleinkariertheit den ‚alten‘ Griechen so ehrfürchtig begegnet, dass diese in ihrer Glorie und Unnahbarkeit zu Statuen erstarren.‘“ (13) Diese These des griechischen Essayisten Nikos Dimou greift die Psychologin Angelika Gravert auf und konstatiert, dass es der griechischen Gesellschaft bisher nicht gelungen sei, sich von der glorifizierten Vergangenheit zu lösen und der heranwachsenden Generation die beruflichen und sozialen Kompetenzen zu vermitteln, die unter den heutigen Bedingungen erforderlich seien. Das Selbstverständnis und die ideologische Prägung der Bevölkerung seien nur teilweise das Ergebnis der familiären, stärker aber der schulischen Sozialisation. Daher widmet sie sich der Bildungspolitik in Griechenland zunächst aus historischer Perspektive und bietet dann eine kritische Bestandsaufnahme der heutigen Bildungssituation im Lande. Nach dem Ende der Militärdiktatur 1974 habe zwar ein Liberalisierungs‑ und Demokratisierungsprozess stattgefunden, in dessen Kontext es auch zu Reformen im Bildungswesen gekommen sei, doch die Bildungspolitik sei weiterhin „dem Konservatismus“ verpflichtet geblieben. Sie habe dazu beigetragen, dass „eine weltoffene, tolerante, säkulare und der zunehmenden Multikulturalität des Landes angemessene Sozialisation verhindert“ (102) worden sei. Die vermittelten Werte hätten viele Generationen daran gehindert, den Herausforderungen moderner kapitalistischer Produktionsverhältnisse und den damit verbundenen bürgerlichen Formen des Gemeinwesens angemessen zu begegnen. Den staatlichen Institutionen komme die Aufgabe zu, den jungen Menschen die Qualifikationen für den Arbeitsmarkt zu vermitteln, was zu lange ignoriert worden sei. Die aktuelle Wirtschafts‑ und Finanzkrise biete der griechischen (durch die neuen Medien vernetzten) Jugend die Chance, ausgetretene Pfade zu verlassen und das „emanzipatorische Potenzial zu entdecken, das jeder Krise innewohnt“ (122). Derzeit gebe es zahlreiche Beispiele von Eigeninitiativen in diesem Bereich; so bieten engagierte Pädagogen etwa kostenlos den legal und illegal im Lande befindlichen Migrantenkindern Nachhilfe und tragen auf diese Weise dazu bei, die Auswirkungen der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit und Desintegration der ausländischen Mitbewohner zu lindern. Diese Initiativen zeigten, dass der krisenhaften Entwicklung auch dadurch begegnet werden könne, dass „alternative Projekte und neue Lebensentwürfe entwickelt werden“ (116).
Sabine Steppat (STE)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.61 | 2.23 | 2.263
Empfohlene Zitierweise: Sabine Steppat, Rezension zu: Angelika Gravert: Lernen in der Revolte. Hamburg: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/36702-lernen-in-der-revolte_44781, veröffentlicht am 06.02.2014.
Buch-Nr.: 44781
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