Manifeste für eine zivile, offene, freie Gesellschaft haben Konjunktur. So liegt die gemeinsame Publikation des konservativen Unternehmers Tettamanti und des progressiven Gewerkschafters Bernasconi im Trend der Zeit. Angesichts der Krise des europäischen Sozialstaates sowie gegenwärtiger gesellschaftlicher Entwicklungstrends warnen die beiden Schweizer in bewährt liberaler Manier vor dem Weg in die Knechtschaft, auf dem Hayek Europa schon vor fünfzig Jahren wandeln sah. Dem Dirigismus und Interventionismus des bevormundenden Staates setzen die Autoren die "Mobilisierung des einzelnen Bürgers" (159) für Freiheit, individuelle Verantwortung und Solidarität entgegen und formulieren dementsprechende "Vorschläge für einen Gesellschaftsvertrag für das 21. Jahrhundert" (155 ff.). Man kann solches Engagement nur begrüßen. Aber trotz des von Tettamanti und Bernasconi teilweise treffend gezeichneten Bildes der gegenwärtigen Probleme und der zukünftigen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen in Europa vermittelt die sorgfältig edierte Schrift den Eindruck, zeitgenössisches liberales Denken lasse sich so sehr von seinen eigenen Formeln faszinieren, daß es deren überzeugte Wiederholung schon für Rezepte hält. Hierin dürfte die Schwäche des vorliegenden Manifests liegen, das wie viele andere seiner Art entgegen der Intention der Verfasser auch als eine Manifestation der Ratlosigkeit erscheinen kann.