/ 22.06.2013
Anna Täschner
Mensch und Staat bei Immanuel Kant. Zu den anthropologischen Grundlagen seiner politischen Theorie
Würzburg: Königshausen & Neumann 2012 (Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften: Reihe Philosophie 524); 252 S.; brosch., 36,- €; ISBN 978-3-8260-4935-4Philosoph. Diss. Köln; Begutachtung: W. Leidhold. – Kants politische Philosophie ist in vielfacher Hinsicht eine Herausforderung. Schon die Herausgabe seines politikphilosophischen Hauptwerkes, die „Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre“, sah Kant etwa selbst als editorisch verunglückt an. Zweitens setzt die Lektüre seiner politiktheoretischen Texte umfangreiche Kenntnisse seiner drei „Kritiken“ voraus. Und schließlich ist sein politisches Denken über mehrere Schaffensphasen verteilt, sodass eine einheitliche Interpretation immer delikat bleiben muss. All dies hat dazu beigetragen, dass die Kant-Forschung Laien nahezu vollkommen verschlossen geblieben ist und man sich etwa in der Politikwissenschaft meist damit begnügt, die kleine Schrift „Zum ewigen Frieden“ zu lesen. Dass indes Kants Rechtsphilosophie hinter seiner Ethik und seiner Erkenntnistheorie zurücksteht, ist insofern bedauerlich, als man wie Täschner mit gutem Recht behaupten kann, dass sich gerade die ethische und politische Intention Kants bis in seine Erkenntnistheorie zurückverfolgen lässt. Wenn nun Kant dies selbst mit dem Anspruch bestritt, seine politische Philosophie sei unabhängig von bestimmten anthropologischen Grundannahmen, dann hält dem die Autorin entgegen, dass er seinen transzendentalen Anspruch, mit dem er die zeitgenössische politische Philosophie (z. B. Hobbes) kritisiert, selbst nicht einhält. Täschner zeigt, dass Kant, ausgehend von seiner Erkenntnistheorie, bestimmte anthropologische Prämissen setzt – der Mensch als sinnliches und intelligibles Wesen bzw. der Vorrang der Vernunft vor der Erfahrung –, die seine gesamte Philosophie durchziehen: Staat und Recht werden bei Kant analog zu diesem Menschenbild rational deduziert, sinnlich-utilitäre Zwecke sind daher der Vernunft nachgeordnet. Täschners Interpretation verdeutlicht, dass sich Kants rechtsphilosophische Argumentation einer empirischen (politikwissenschaftlichen) Überprüfung notwendig entziehen muss. Die herausgearbeitete politikphilosophische Anwendung der Doppelnatur des Menschen als natürliches und rationales Wesen, das seine Freiheit allein in seiner Vernunft finden kann, erklärt schließlich auch, weshalb Kant – trotz seiner berühmten Aussage von der Radikalität des Bösen – als vorsichtiger Fortschrittsdenker interpretiert werden kann, der moralische Besserung als möglich, aber eben nicht als beweisbar erachtet. Dass sich Einwände gegen ihre Interpretation der Kantischen Philosophie als Einheit finden lassen, weiß die Autorin. Ihre Leistung einer integrativen Interpretation muss dagegen hoch geschätzt werden, die auch und gerade für Nichtexperten angesichts der skizzierten Schwierigkeiten eine aktuelle Kant-Lektüre wieder möglich macht.
Frank Schale (FS)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 5.33
Empfohlene Zitierweise: Frank Schale, Rezension zu: Anna Täschner: Mensch und Staat bei Immanuel Kant. Würzburg: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/35602-mensch-und-staat-bei-immanuel-kant_42960, veröffentlicht am 29.11.2012.
Buch-Nr.: 42960
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Dr., wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Technische Universität Chemnitz.
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