/ 26.02.2015
Norbert F. Pötzl
Mission Freiheit. Wolfgang Vogel. Anwalt der deutsch-deutschen Geschichte
München: Wilhelm Heyne Verlag 2014; 512 S.; geb., 22,99 €; ISBN 978-3-453-20021-0„‚Wo ist die Grenze?‘, fragt Schtscharanski. ‚Genau hier, dieser dicke weiße Strich‘, erhält er zur Antwort. Mit einem Hopser springt der befreite Dissident über die Linie.“ (398) Das Glück von Natan Schtscharanski in diesem Moment im Jahr 1986 auf der Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam prägt die Perspektive, aus der der Journalist Norbert F. Pötzl auf den Anwalt blickt, der ihm mit einem Austausch nach über zehn Jahren Haft in der Sowjetunion zur Freiheit verhalf: Wolfgang Vogel. Diesen Weg in die Freiheit hatte Vogel 1962 zum ersten Mal an gleicher Stelle erprobt, damals wurde unter seiner maßgeblichen Mithilfe der US‑Pilot Francis Powers gegen den KGB‑Spion Rudolf Abel getauscht. Der Kalte Krieg stellte überhaupt die Bedingungen für die Arbeit von Vogel, der im Laufe der Jahre in den deutsch‑deutschen Beziehungen eine wichtige Rolle als Vermittler spielen sollte. Pötzl erzählt dessen Lebensgeschichte durchaus von Sympathie getragen, aber immer mit der kritischen Frage im Hintergrund, ob es wirklich so und nicht anders hatte laufen müssen. Um dem Leser eine eigene Einschätzung zu ermöglichen, hat Pötzl einzelne Themen gründlich recherchiert. Dazu zählt etwa die in den Medien verbreitete Annahme, in der DDR seien massenhaft Kinder, deren Eltern in den Westen geflüchtet oder ausgereist waren, zwangsadoptiert worden. Pötzl beruft sich auf eine rechtswissenschaftliche Dissertation dazu, in der von insgesamt fünf Fällen ausgegangen wird, schildert die persönlichen Schicksale und zeigt damit auch, wie eingeschränkt die Handlungsmöglichkeiten Vogels, der den Eltern zu helfen versuchte, oft waren. Insgesamt ist diese Biografie darauf ausgelegt, die jüngere deutsche Vergangenheit zu entmystifizieren und zu zeigen, wie sehr Geschichte auch von Menschen gemacht ist. Irritierend ist allenfalls die Beschreibung der beruflichen Anfänge Vogels im Justizwesen der DDR, das sich auch für ihn von Anfang an als politisches Instrument offenbarte. Dennoch blieb er und fand seinen eigenen Weg, mit dem System umzugehen. Er wurde einer der wenigen selbstständigen Anwälte und war auch im Westen zugelassen. In 25 Jahren summierten sich seine Aktivitäten auf „215.019 Familienzusammenführungen“ (297), er verhandelte die Häftlingsfreikäufe und diente Erich Honecker als persönlicher Kontaktmann zum Westen – alles, wie Pötzl schreibt, zu einem normalen Honorar. Die Versuche nach der Wende, ihn strafrechtlich zu belangen, entpuppten sich als unhaltbarer Versuch, auf diese Weise mit dem SED‑Regime abzurechnen – zwar hatte Vogel nie abgestritten, dass er sich mit der Staatsicherheit hatte absprechen müssen. Aber er war eben kein Protagonist des Regimes, sondern ein Pragmatiker, der auf seine Weise die Folgen der Diktatur abzumildern versuchte.
{NW}
Rubrizierung: 2.3 | 2.314 | 2.35 | 2.313 | 4.1 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Norbert F. Pötzl: Mission Freiheit. Wolfgang Vogel. München: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/38114-mission-freiheit-wolfgang-vogel_46310, veröffentlicht am 26.02.2015. Buch-Nr.: 46310 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA