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/ 22.06.2013
Ulrich Pfeil (Hrsg.)

Mythes et tabous des relations franco-allemandes au XXe siècle/Mythen und Tabus der deutsch-französischen Beziehungen im 20. Jahrhundert

Bern u. a.: Peter Lang 2012 (Convergences 65); X, 312 S.; brosch., 69,10 €; ISBN 978-3-0343-0592-1
Es geht diesmal nicht um erklärliche „malentendus“ – die deutsch-französischen Beziehungen haben wohl alle Missverständnisse durchlitten, die zwischen zwei Nationen denkbar sind. Der Tagungsband von 2009 aus Saint-Etienne, entstanden aus Anlass der 50-jährigen Städtepartnerschaft mit Wuppertal, versammelt unter dem routinierten Herausgeber Pfeil vielmehr (vermeintliche) Mythen wie „Rapallo“ oder „Sonderweg“, daneben Tabus wie „Niederlage“ oder „Widerstand“. Bereits hier erkennt ein Ungleichgewicht der aufgegriffenen historischen Fakten, wer die Verständigung unserer Tage ernst nimmt. In der europäischen Forschung sind die deutschen Ereignisse breit aufgearbeitet (der Band fällt hier teils hinter neue Erkenntnisse zurück), während alle Eskapaden französischer Erinnerungspolitik (etwa 2012 die Annullierung von Sarkozys Geschichtszentrum am Ort der Archives nationales) deutlich machen: Frankreich baut weiter auf seine Tabus – das zeigt sich an der bis heute uneingestandenen Bremserrolle 1989 (aufgearbeitet von Marion Gaillard), setzt sich fort bei neuen Stereotypen über das geeinte Deutschland (wie Hanna Milling mit erschreckenden Beispielen über „feindliche Absichten“ [194] belegt) und endet nicht bei den Versuchen, die Bundesrepublik in der europäischen Krise auf die Seite des französischen Keynesianismus zu ziehen. Weder kann die blutige Verantwortung im Algerienkrieg mit der Präsenz deutscher Fremdenlegionäre relativiert werden – wie Jean-Paul Cahn und Eckard Michels nahelegen –, noch ist es möglich, das Tabu der Niederlage während der Dritten Republik ohne die Auflösungstendenzen der späten 1930er-Jahren zu diskutieren, die Annie Lacroix-Riz als „Le choix de la défaite“ (Paris 2006) bezeichnet hat – gar nicht zu sprechen von der vergessenen Verständigung der Rechtsintellektuellen unter dem Vorzeichen autoritärer Ordnungsversuche in Frankreich (etwa durch Bertrand de Jouvenel). Dies ist in der Reihe „Convergences“ bereits am Beispiel von Henri Pichot (Band 35), der sich als Kriegsveteran mit Hitler traf, beleuchtet worden – hier aber wird es tabuisiert.
Sebastian Liebold (LIE)
Dr., Politologe und Zeithistoriker, wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 4.24.224.212.61 Empfohlene Zitierweise: Sebastian Liebold, Rezension zu: Ulrich Pfeil (Hrsg.): Mythes et tabous des relations franco-allemandes au XXe siècle/Mythen und Tabus der deutsch-französischen Beziehungen im 20. Jahrhundert Bern u. a.: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/35300-mythes-et-tabous-des-relations-franco-allemandes-au-xxe-siclemythen-und-tabus-der-deutsch-franzoesischen-beziehungen-im-20-jahrhundert_42520, veröffentlicht am 16.08.2012. Buch-Nr.: 42520 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
CC-BY-NC-SA