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/ 18.06.2013
Reinhard Brandt / Steffen Schmidt (Hrsg.)

Mythos und Mythologie

Berlin: Akademie Verlag 2004; 257 S.; geb., 49,80 €; ISBN 3-05-003775-X
Im Wintersemester 2001/2002 trafen sich an der Marburger Philipps-Universität Ägyptologen, Germanisten, Philosophen, Politologen, Religionswissenschaftler, Sinologen und Soziologen, um an konkreten Motiven die Vielfalt der Mythenforschung zu präsentieren. Der Sammelband veranschaulicht diese methodische und inhaltliche Reichhaltigkeit. Von näherem Interesse dürften drei Beiträge sein: Joachim Heinzle zeigt die Wirkungsmächtigkeit des Nibelungenliedes als deutschen Nationalmythos, wie er in der Literatur seit dem frühen 19. Jahrhundert generiert wird. Bemerkenswert ist, dass dieses letztlich wahnhafte Denksystem nicht etwa nur zur Legitimation von Nationalismus und Rassismus Anwendung fand, sondern auch bei deren späteren Opfern, gemeint ist Victor Klemperer, - zweifellos in entgegengesetzter Absicht - fortlebt. Stefan Breuer, der bei seiner Analyse des „Dritten Reiches“ zeitlich bei Ibsen ansetzt und die wachsende Politisierung dieser Denkfigur seit der Jahrhundertwende verfolgt, bestreitet, dass das „Dritte Reich“ ein Mythos sei. Als literarisches Motiv meine es lediglich einen Ausgleich der erfahrenen gesellschaftlichen Differenzierungsprozesse und als politisches Bild bei Moeller van der Bruck diene die Formel als bloße pseudomythische Fortsetzung des nationalen Projektes seit Bismarck. Herfried Münkler betont die Ambivalenz politischer Mythen, indem er einerseits die drohende Gefahr der Realitätsabkopplung und andererseits den Gewinn an politischer Identität, Handlungsmächtigkeit und Zukunftsvertrauen durch die bewusste Reduktion sozialer Bindungen, Komplexitäten und Kontingenz hervorhebt. Leider wird diese methodisch durchdachte Perspektive nur pauschal auf das eigene Forschungsfeld angewendet, was etwa dann deutlich wird, wenn er den ostdeutschen Aufruf „Für unser Land“ von 1989 allein als hilflosen Revitalisierungsversuch des antifaschistischen Gründungsmythos interpretiert. Aus dem Inhalt: Reinhard Brandt: Mythos und Mythologie (9-22) Jan Assmann: Tod, Staat, Kosmos: Dimensionen des Mythos im Alten Ägypten (23-41) Stefan M. Maul: Altorientalische Schöpfungsmythen (43-53) Arbogast Schmitt: Mythos bei Platon (55-87) Klaus Koch: Vom Mythos zum Monotheismus im alten Israel (89-121) Reimar Schefold: Die mehrstimmige Botschaft: Männer- und Frauenperspektiven in indonesischen Mythen (123-145) Jürgen Leonhardt / Katarina Krause: Poesie und Bild: Die Actaeon-Geschichte in Ovids Metamorphosen (147-167) Renate Schlesier: Freuds Dionysos (169-184) Joachim Heinzle: Unsterblicher Heldengesang: Die Nibelungen als nationaler Mythos der Deutschen (185-202) Stefan Breuer: Das Dritte Reich (203-219) Herfried Münkler: Der Antifaschismus als Gründungsmythos der DDR (221-236) Michael Friedrich: Chinesische Mythen und chinesische Mythologie (237-253)
Frank Schale (FS)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 1.32.632.682.312.22 Empfohlene Zitierweise: Frank Schale, Rezension zu: Reinhard Brandt / Steffen Schmidt (Hrsg.): Mythos und Mythologie Berlin: 2004, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/19053-mythos-und-mythologie_22126, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 22126 Rezension drucken
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