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/ 03.06.2013
Dirk Richter

Nation als Form

Opladen: Westdeutscher Verlag 1996; 294 S.; kart., 54,- DM; ISBN 3-531-12797-7
Diss. phil. Münster; Gutachter: G. Weber, R. Eickelpasch. - Ausgehend vom Mangel an soziologischer Nationalismusforschung zielt Richter darauf, "einen Nation-Begriff zu entwickeln, der [...] sich für die Analyse der Gegenwarts-Nationalismen eignet, aber gleichermaßen auch für vergangene Zeitpunkte seine Anwendung finden kann." (10) Dazu stellt er in einem ersten Überblickskapitel die soziologisch-theoretische Tradition von Dürkheim bis zur Gegenwart - und deren Defizite - dar, um dann im Anschluß an den Logiker George Spencer Brown und vor allem an die Gesellschaftstheorie von Luhmann seinen Vorschlag, die Nation als "Form" zu fassen, zu entwickeln. Als Form wird mit Brown eine vom Beobachter gesetzte Unterscheidung bzw. "die Einheit dessen, was unterschieden wurde" (79) sowie das zwangsläufig dazugehörende, aber die nicht bezeichnete andere Seite verstanden. Grob vereinfacht dargestellt, versteht Richter "Nation" als Form im beschriebenen Sinne und die Weltgesellschaft, die im Zuge der Globalisierung der Funktionssysteme als ein Kennzeichen der Moderne gesehen wird, als deren andere Seite: "Eine 'Nation' im modernen politischen Sinne wird erst ermöglicht durch die Auseinandersetzung mit der Weltgesellschaft." (105) Die Nation bzw. die Verwendung nationaler Semantiken wird primär, aber nicht ausschließlich dem politischen System zugeordnet, denn die Beobachtung der Weltgesellschaft beschränkt sich nicht auf dieses Teilsystem. Auf der Grundlage dieser Definitionen beschreibt Richter Stereotype als Selbst- und Fremdbeschreibung, den Schritt vom Patriotismus zum Nationalismus (Feindsemantik), "nationale" Identitätsbildung sowie schließlich in einem eigenen Kapitel die Evolution der Form "Nation" seit dem Zerbrechen der christlich-universalistischen Einheit im späten Mittelalter. Richter vermeidet konsequent jegliche Moralisierung des Themas und seine Ergebnisse, die in manchen Einzelheiten sicher angreifbar sind (etwa der Frage, ob in der Entstehungszeit der "Nation" wirklich schon von einer Weltgesellschaft gesprochen werden kann), können die politikwissenschaftliche Nationsforschung, die mindest ebensolche Defizite wie die soziologische aufweist, sehr befruchten.
Torsten Oppelland (TO)
Prof. Dr., Politikwissenschaftler, Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.42.23 Empfohlene Zitierweise: Torsten Oppelland, Rezension zu: Dirk Richter: Nation als Form Opladen: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/2544-nation-als-form_3272, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 3272 Rezension drucken
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