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/ 12.11.2015
Tobias Huff

Natur und Industrie im Sozialismus

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2015 (Umwelt und Gesellschaft 13); 470 S.; geb., 49,99 €; ISBN 978-3-525-31717-4
Diss. Freiburg; Begutachtung: F.‑J. Brüggemeier, S. Paletschek. – Warum erzeugten „die Waldschäden in den beiden deutschen Staaten eine extrem unterschiedliche politische und gesellschaftliche Resonanz“ (18)? Da die forstwirtschaftliche Forschung im sächsischen Tharandt regional verankert und international angesehen war und dort auch nach 1945 zu den Rauchschäden, die die Wälder durch Industrieabgase erlitten, geforscht wurde, waren die verschiedenen umweltpolitischen Wege von Ost und West vom Ausgangspunkt aus betrachtet keineswegs zwangsläufig, wie Tobias Huff zeigt. Aber unter Rückgriff auf die Kapazitätenthese von Volker von Prittwitz kommt er zu einer plausiblen Erklärung: Systeme thematisieren demnach nur die Probleme, „‚die sie bewältigen können‘“ (25). Und eben diese Kapazitäten fehlten in der DDR, wie Huff in seiner chronologisch aufgebauten, an einer klaren Fragestellung orientierten und auf wichtige Akteure konzentrierten Darstellung zeigt. Er erzählt damit die Geschichte der DDR als die einer Verengung eben dieser Kapazitäten, einhergehend mit einer Abkoppelung der Forschung in der DDR von der westdeutschen und internationalen Entwicklung – herrschten in den 1950er‑Jahren noch umweltpolitische Aufbruchsstimmung und gute Absichten vor und konnte die Wirtschaftspolitik Ulbrichts in den 1960er‑Jahren in dieser Hinsicht hoffen lassen, verfestigten sich in den 1970er‑Jahren allein jene Tendenzen, am Machterhalt orientiert zu entscheiden. Zwar wurde 1972 sogar ein Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft gegründet, auch konnte der zuständige Minister mit der Tschechoslowakei ein Regierungsabkommen aushandeln, mit dem die grenzüberschreitenden Emissionen reduziert werden sollten. Die von Honecker festgelegte Forcierung einer Sozialpolitik, die die Bevölkerung ruhig stellen sollte, ließ aber keine Investitionen für die Umwelt zu. Am spannendsten ist das Kapitel über die 1980er‑Jahre, in denen die Diskrepanz zwischen einer Ideologie, die doch die bessere Zukunft versprach, und der Realität unübersehbar geworden war. Während das System erstarrte, bildeten sich oppositionelle Gruppen, die – auch über den Umweg über westliche Medien – ihren Weg in die Öffentlichkeit fanden. Angesichts des Themas seiner Studie nennt Huff die Erstürmung der Umweltbibliothek durch die Stasi im November 1987 als Wendepunkt, zumal zeitgleich die Unfähigkeit, das Schwelwerk Espenhain zu sanieren, als Symbol der gescheiterten Umweltpolitik der DDR sichtbar wurde. Huff ist es gelungen, eine wichtige Facette der DDR als eigene Entwicklung herauszuarbeiten, die doch zugleich mit der Bundesrepublik verknüpft war und damit zur gesamtdeutschen Geschichte gehört.
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Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Tobias Huff: Natur und Industrie im Sozialismus Göttingen u. a.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/39076-natur-und-industrie-im-sozialismus_47363, veröffentlicht am 12.11.2015. Buch-Nr.: 47363 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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