/ 07.04.2016
Rainer Forst
Normativität und Macht. Zur Analyse sozialer Rechtfertigungsordnungen
Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2015 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2132); 254 S.; 16,- €; ISBN 978-3-518-29732-2„Rechtfertigungen und entsprechende Ordnungen sind also einmal der Gegenstand einer deskriptiv‑kritischen Analyse und einmal der Gegenstand einer normativen Reflexion“ (11), beschreibt Rainer Forst, Professor für Politische Theorie und Philosophie an der Goethe‑Universität Frankfurt, seinen theoretischen Zugang zum Thema. Die analytische Kategorie der Rechtfertigungsordnung verbindet dabei nicht nur die oft als Gegensatz gedachte Relation von Normativität und Macht als eine dialektische, sondern ermöglicht eine umfassende Perspektive philosophischer, soziologischer und historischer Natur. Begleitet wird dies – nicht überraschend für einen Schüler von Jürgen Habermas – von einem spezifischen Verständnis der Kritischen Theorie: Gefragt wird nach der historisch möglichen und normativ geforderten Form einer allgemein gerechtfertigten gesellschaftlichen Ordnung (Normativität) und nach den Ursachen, warum eine solche Ordnung nicht entsteht (Stichwort Macht). Besonders erwähnenswert ist die ausführliche Abgrenzung dieser Argumentation von Rechtfertigungstheorien deutscher (Honneth) oder französischer (Boltanski, Chiapello, Thévenot) Tradition. Forst betont zwei die philosophische sowie soziologische Betrachtung betreffende Weiterentwicklungen: (a) Gerechtigkeitsansprüche, die in Rechtfertigungsnarrativen enthalten sind, unterliegen selbst einer moralischen Rekonstruktion und (b) Rechtfertigungsansprüche werden besonders in der politischen Sphäre institutionalisiert, damit gesellschaftlich wirkmächtig und in Relation zu herrschenden Diskursen gesetzt. Staaten, besonders im internationalen Vergleich, sind dann auch daran zu bewerten, ob sie Rechtfertigungsräume und faire Machtverteilung garantieren. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Verbindung von Kritischer Theorie und historischer Perspektive, die Forst betont. Normativitätskriterien unterliegen demnach zwar historischer Kontingenz, dies erklärt aber nicht die Differenz zwischen emanzipatorisch („Errungenschaften“, 17) und nichtemanzipatorisch bewerteten Prozessen. Das Rechtfertigungsprinzip kann an dieser Stelle Aufschluss geben, warum zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt Positionen (nicht) gerechtfertigt, also moralisch (nicht) akzeptiert waren und gesellschaftlich wirkmächtig wurden. Hier zeigen sich das dialektische Verhältnis von Normativität und Macht, das Forst vorschlägt, sowie der Erkenntnisgewinn der Rechtfertigungsordnungen.
{CHE}
Rubrizierung: 5.1 | 5.41 | 5.3 | 5.42 | 4.1 Empfohlene Zitierweise: Christian Heuser, Rezension zu: Rainer Forst: Normativität und Macht. Frankfurt a. M.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/39588-normativitaet-und-macht_48029, veröffentlicht am 07.04.2016. Buch-Nr.: 48029 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA