/ 20.08.2015
Thomas Darnstädt
Nürnberg. Menschheitsverbrechen vor Gericht 1945
München u. a.: Piper 2015; 416 S.; geb., 24,99 €; ISBN 978-3-492-05684-7Das Buch beginnt nicht mit dem Gestern, sondern dem Heute: mit der Notwendigkeit einer zwischenstaatlichen Ordnung im 21. Jahrhundert, die auf dem Grundsatz „Frieden durch Recht“ basiert. Mit dieser These rahmt der promovierte Jurist Thomas Darnstädt seine Betrachtung des Nürnberger Prozesses gegen die NS‑Elite. Dieser bedeutete historische Neuerungen im internationalen Recht: „Frieden durch Strafrecht war ursprünglich ein nationales Konzept“. (12) Darnstädt rekonstruiert die Denkprozesse in den alliierten Machtzentren, die darauf zielten, die im damaligen Kriegsvölkerrecht bestehende Lücke zwischen den Verbrechen der Nazis und deren Strafbarkeit zu schließen. Dabei zeigt er die auf unterschiedlichen Prioritäten und Rechtssystemen der Siegermächte beruhenden Schwierigkeiten, die sich im Ringen um Formulierungen (etwa der „Verschwörung zum Angriffskrieg“) und anderen juristischen Balance‑Akten niederschlugen, bis im Oktober 1945 der Prozess endlich vor den Augen der Weltpresse eröffnet werden konnte. Doch er verdeutlicht auch, dass der Weg mit den Nürnberger Urteilen und deren Vollstreckung keineswegs am Ende war: Es folgten weitere Prozesse – gegen SS‑ und KZ‑Ärzte, NS‑Juristen oder Wilhelmstraßen‑Diplomaten. Und es folgten die Völkermordkonvention, später die Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda sowie der Internationale Strafgerichtshof. Darnstädt, der unter anderem für das Magazin Der Spiegel über Rechts/index.php?option=com_content&view=article&id=41317 schreibt, erzählt flüssig, bisweilen mitreißend, oft szenisch und personenbezogen. Er stellt einzelne Akteure vor, Ankläger ebenso wie Angeklagte. Besonders fasziniert ihn der ambitionierte Chef‑Ankläger Robert Jackson: „Präsident ist Jackson nie geworden. Die Welt hat er trotzdem verändert.“ (51) Nicht selten neigt der Autor zu einem dramatisierenden Tonfall, als wolle er seine Schilderung mit der Wichtigkeit des Prozesses kontaminieren. Er liefert letztlich ein populärwissenschaftliches Sachbuch – da wird etwa Churchill „der alte Haudegen“ (29) und Hermann Göring „der fette Nazi“ (48). Schwerer wiegen jedoch die fehlenden Quellennachweise, besonders wenn es um den Kontext von Zitaten oder um behauptete Einstellungen der Akteure geht.
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Rubrizierung: 4.1 | 2.312 Empfohlene Zitierweise: Frank Kaltofen, Rezension zu: Thomas Darnstädt: Nürnberg. München u. a.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/38782-nuernberg_47403, veröffentlicht am 20.08.2015. Buch-Nr.: 47403 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA