/ 05.06.2013
Andreas Steffens
Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts oder Die Wiederkehr des Menschen
Leipzig: Reclam Verlag 1999; 316 S.; 22,- DM; ISBN 3-379-01663-2Wilhelm von Humboldt konnte an den Anfang seines Rückblicks auf das 18. Jahrhundert noch die Fragen stellen, wo die Menschheit nun stehe, welchen Teil ihres mühevollen Weges sie bereits zurückgelegt und welchen sie noch vor sich habe, ob sie sich in der Richtung zum Ziel befinde und gewillt sei, diesen Weg voranzuschreiten. Am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts sind mit dem Verlust des Fortschrittsoptimismus und dem Glauben an eine weltgeschichtliche Teleologie auch die Fragen abhanden gekommen. "Kein 'Wo stehen wir' also mehr, sondern ein ernüchtertes 'Was ging da vor' bilden den Horizont eines Rückblicks auf unser Jahrhundert" (11), schreibt der Autor im Vorwort. Die Kategorie, unter der die Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts rekapituliert werden kann – nicht bloß im Sinne philosophischer Historiographie, sondern als eigenständige problemorientierte Reflexion – muß daher den beherrschenden Grundzug der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts widerspiegeln: Sie muß den Menschen in den Blick nehmen und gleichzeitig Zeugnis von seiner Unmenschlichkeit ablegen. Steffens findet diese Kategorie, die dieses "Unwahrscheinliche zugleich manifestieren und selbst erläutern" (14) will, im Begriff der "Anthropolitik": "[Sie] ist keine Politik für ihn, sie ist eine am Menschen; eine Politik, die sich die Substanz des Menschseins, eben 'den Menschen' zum Gegenstand ihres Gestaltungswillens wählt." (17) Politik substituiere damit negativ jene Aufgabe, die zuvor der Philosophie allein zugekommen sei: Sie werfe sich zur Instanz einer Bestimmung des Menschseins auf. Anhand des Topos untersucht Steffens die Rolle, die Philosophie in diesem Jahrhundert gespielt hat. Als positivistische sei sie anfällig für Mißbrauch gewesen, als affirmative habe sie sich freiwillig zu einem Instrument der Ideologie gemacht, lediglich als kritische habe sie gegen die Tendenzen ihrer Zeit opponiert. Diese philosophiegeschichtliche Retrospektive, die sich durch ihre exemplarische, demonstrative und symptomatologische Ausrichtung von bloß rekapitulierenden Nachkonstruktionen unterscheidet, nimmt immer wieder die Frage nach "dem Menschen" in den Blick. Als "Erfindung des 18. und Versäumnis des 19. Jahrhunderts" (18) sei im 20. Jahrhundert das Ideal des "neuen Menschen" nicht nur rhetorisch proklamiert, sondern weit über das bis dato für möglich gehaltene hinaus Wirklichkeit geworden. Am Ausgang dieser Epoche gelange "der Mensch" doppelt ins Blickfeld: als Objekt der Anthropolitik und als Gegenstand der Philosophie, deren Aufgabe Steffens im Übergang ins nächste Jahrhundert darin sieht, die "Wiederherstellung eines menschlichen Selbstbewußtseins zu betreiben, jenseits der Überwältigung durch verwirklichte Unwahrscheinlichkeiten und angesichts bevorstehender weiterer, die noch ebenso unausdenkbar sind, wie jene es waren, bevor sie geschahen." (18)
Florian Weber (FW)
M. A., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.42
Empfohlene Zitierweise: Florian Weber, Rezension zu: Andreas Steffens: Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts oder Die Wiederkehr des Menschen Leipzig: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/8368-philosophie-des-zwanzigsten-jahrhunderts-oder-die-wiederkehr-des-menschen_11042, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 11042
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M. A., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
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