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/ 12.02.2015
Romedi Arquint

Plädoyer für eine gelebte Mehrsprachigkeit. Die Sprachen im Räderwerk der Politik in der mehrsprachigen Schweiz und im europäischen Ausland

Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung 2014 (NZZ Libro); 158 S.; brosch., 29,- €; ISBN 978-3-03823-910-9
Was hat ein Berggorilla mit Rätoromanisch gemeinsam? Beide gelten als vom Aussterben bedroht. Doch der Rätoromane Romedi Arquint beklagt, dass dem Verschwinden von Sprachen weit weniger Brisanz beigemessen wird. „Es vergeht kaum ein Tag, an dem die Medien nicht von einer vom Verschwinden bedrohten Tier‑ oder Pflanzenart berichten. [...] Das Schicksal bedrohter Sprachen oder gar der Tod einer Sprache hingegen interessiert weder Greenpeace noch den WWF.“ (107) Der Autor plädiert für den Erhalt und die Förderung von Minderheitensprachen. Er will vor allem eine Etablierung von Mehrsprachigkeit als Normalfall in Schule und Alltag durchsetzen. In den Fokus nimmt der Theologe und Politiker sein Heimatland, die Schweiz. Gerade die Eidgenossenschaft mit ihren vier Amtssprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch und eben Rätoromanisch) gilt als internationales Musterbeispiel für eine erfolgreich gelebte Mehrsprachigkeit. Dies sei aber ein Mythos, wendet Arquint ein. Die Schweiz erfüllt seiner Ansicht nach zwar auf Bundesebene durchaus ihre gesetzlichen Pflichten als mehrsprachiger Staat. Doch die Kantone haben die Hoheit über die Sprachen und orientieren sich mit ihrem Fokus auf identitätsstiftende Einsprachigkeit am Modell von Nationalstaaten. Außer einem wirklichkeitsfernen Fremdsprachenunterricht werden kaum Impulse zur Mehrsprachigkeit geboten. Es gibt wenig Austausch zwischen den Sprachgruppen und kaum gemeinsame Medienprogramme oder Übersetzungen. In einer bildreichen, mit Anekdoten angereicherten Sprache spricht sich der Autor deshalb für die Ausweitung des Grundrechts auf Sprachfreiheit aus, vor allem im Bildungsbereich. Arquint zeigt auch Parallelen der Schweizer Sprachenlandschaft zu internationalen und historischen ähnlichen Entwicklungen. Weltweit werden rund 6.000 Sprachen gesprochen, zwölf davon von mehr als 100 Millionen Menschen – würde man diese zwölf beherrschen, könne man sich mit 80 Prozent der Weltbevölkerung unterhalten. Würde der Welt diese Art von mehr Verständigung nicht guttun? Nein, der Autor ist sich sicher, dass es „die eine Sprache [ist], welche die Menschheit gefährdet, die Einsprachigkeit, die eine einseitige Weltansicht vermittelt und die eigenen blinden Flecken nicht sieht“ (110). Das Aufeinandertreffen fremder Sprachkulturen fördere schließlich immer die Selbstreflexion und führe zu neuen Ein‑ und Ansichten.
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Rubrizierung: 2.52.2632.61 Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Denzler, Rezension zu: Romedi Arquint: Plädoyer für eine gelebte Mehrsprachigkeit. Zürich: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/38073-plaedoyer-fuer-eine-gelebte-mehrsprachigkeit_46274, veröffentlicht am 12.02.2015. Buch-Nr.: 46274 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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