Skip to main content
/ 11.06.2013
Martin Blobel

Polis und Kosmopolis I. Nachrevolutionärer Totenkult und Politikbegriff in Benjamins frühem Passagenwerk

Würzburg: Königshausen & Neumann 1999 (Epistemata: Reihe Literaturwissenschaft 292); 250 S.; brosch., 68,- DM; ISBN 3-8260-1719-6
Walter Benjamins Passagenwerk reflektiert die im Raum der Großstadt (Paris) erfahrene Erschütterung metaphysischer, ästhetischer und politischer Kategorien zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Diese dreibändige Untersuchung bemüht sich, den Politikbegriff des Passagenwerks zu rekonstruieren. Als einheitliches Leitbild dient das im Titel anklingende Spannungsfeld von griechischer Polis, deren Reflexion in der antiken Tragödie Benjamin als Folie zur Gewinnung seines Politikbegriffs dient, und großstädtischer Kosmopolis, die den Benjaminschen Erfahrungshorizont bildet. Im ersten Band widmet Blobel sich dem Politikbegriff des frühen Passagenwerks (1927-30). Hier herrsche die Trauer über die gescheiterten politischen Revolutionen der Neuzeit vor: "Das frühe Passagenwerk gibt ein Panorama der nachrevolutionären Gesellschaft als Totenreich." (17). Der verhängnisvolle Umschlag der Revolution in Terror, von Freiheit in Unfreiheit, münde in eine trauervolle Kontemplation, in einen Totenkult, der der griechischen Trauer in der Tragödie ähnlich sei. Diese Diagnose nimmt Blobel zum Ausgangspunkt seiner politologischen Interpretation Benjamins: Einerseits sieht er in Benjamins Analyse Elemente zur Erneuerung des antiken Naturrechts: "Die Zerfallswirklichkeit kosmopolitischer Mimesis ist unmittelbar als telos der naturrechtlichen Rettung zu sehen" (19). Andererseits sei die im Totenkult angelegte Nivellierung von Differenzen selbst unmittelbar politisch: "Denn daß die kreatürliche, vergängliche Natur bedeutend sei, hat den eminent modernen und fortschritts- wie totalitätskritischen demokratischen Sinn, daß überall mit gleichem Recht und vielleicht gleicher Erfolgsaussicht das Denken praktisch begonnen werden könne." (16) Auch wenn es um die Rekonstruktion des Politikbegriffs bei Benjamin geht, dürfte die Arbeit eher von philosophischem als politikwissenschaftlichem Interesse sein. Die Begriffe Blobels verbleiben auf einem Abstraktionsgrad, die nur selten ihre politologische Nutzbarmachung erlaubt. Zudem ist die Lektüre durch komplizierte Termini und verschlungene Gedankengänge erschwert. Blobel schreibt etwa in der Einleitung: "Indem Benjamin in seiner bevorzugten Denkfigur - der Monade - die Ewigkeit als das Neue setzt, aktualisiert er das Gesamte des möglichen Seins - eine gänzlich unvollziehbare Wirklichkeit, die im ephemeren und tabuistischen Fetisch erstarrt. So wird die Revolution begrifflich durchdrungen." (15) Ob eine begriffliche Durchdringung politischer Materie auf dieser Ebene zur Klärung politikwissenschaftlicher, nicht philosophischer Fragestellungen beiträgt, ist fraglich.
Florian Weber (FW)
M. A., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.42 Empfohlene Zitierweise: Florian Weber, Rezension zu: Martin Blobel: Polis und Kosmopolis I. Würzburg: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/12054-polis-und-kosmopolis-i_14380, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 14380 Rezension drucken
CC-BY-NC-SA