/ 21.06.2013
John Gray
Politik der Apokalypse. Wie Religion die Welt in die Krise stürzt. Aus dem Englischen von Christoph Trunk
Stuttgart: Klett-Cotta 2009; 363 S.; 22,90 €; ISBN 978-3-608-94114-2Gray, namhafter politischer Philosoph und Ideengeschichtler an der London School of Economics and Political Science, führt die in seinem Buch „Die Geburt al-Qaidas aus dem Geist der Moderne“ (siehe ZPol-Nr. 24309) vertretene These weiter aus: Ausgangspunkt ist, dass es sich bei Nationalsozialismus und Stalinismus weder um einen Zivilisationsbruch im Sinne eines „Rückfalls in die Barbarei“ (Karl Popper) noch um eine antiwestliche „asiatische“ Tat, sondern geradezu um Ausgeburten der westlichen Moderne handelte, die – wie schon die Wiedertäufer in Münster und die Jakobiner der Französischen Revolution – als „politische Religionen“ (Eric Voegelin, 1938) in einer europäischen utopistisch-apokalyptischen Tradition stünden. Gray erweitert dies auch auf die Erlösungskonzepte von Liberalismus und Positivismus, die in ihren „dunklen Seiten“ den Glauben an die „Erlösung“ durch den freien Markt ebenso hervorgebracht hätten wie den pseudowissenschaftlichen Rassismus (vgl. auch Adorno/Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, 1947). Der „missionarische Liberalismus“ (249) wird in diesem Buch ausführlich vor allem hinsichtlich der Politik Thatchers, Blairs und der amerikanischen Interventionen unter Bush und den Neocons behandelt. Hierüber mag man sicherlich streiten – kraftvoll ist die These Grays aber auf jeden Fall hinsichtlich ihres gegen den Mainstream gerichteten Erklärungspotenzials des „Islamismus“, der eben nicht „islamisch“, sondern modern sei. Denn „Tugend und Terror“ als politisches Gewaltmittel der Welterlösung sei ein zutiefst europäisches Ding. So gesehen schaut der „Westen“ beim „Islamismus“ in seine eigene apokalyptische Fratze – hat doch Al Kaida mehr mit Robespierre zu tun und erinnern die Taliban eher an eine moderne, verpöbelte Politsekte im Stile der Roten Khmer (vgl. Ahmed Rashid). In guter englischer Tradition plädiert Gray daher für den pragmatischen Realismus.
Robert Chr. van Ooyen (RVO)
Dr., ORR, Hochschullehrer für Staats- und Gesellschaftswissenschaften, Fachhochschule des Bundes Lübeck; Lehrbeauftragter am OSI der FU Berlin sowie am Masterstudiengang "Politik und Verfassung" der TU Dresden.
Rubrizierung: 2.2 | 2.22 | 2.23 | 2.25 | 4.2 | 4.41 | 2.61 | 2.62 | 2.63 | 2.64 | 2.312
Empfohlene Zitierweise: Robert Chr. van Ooyen, Rezension zu: John Gray: Politik der Apokalypse. Stuttgart: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/31444-politik-der-apokalypse_37428, veröffentlicht am 18.11.2009.
Buch-Nr.: 37428
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Dr., ORR, Hochschullehrer für Staats- und Gesellschaftswissenschaften, Fachhochschule des Bundes Lübeck; Lehrbeauftragter am OSI der FU Berlin sowie am Masterstudiengang "Politik und Verfassung" der TU Dresden.
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