/ 03.06.2013
Kurt Bayertz (Hrsg.)
Politik und Ethik
Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1996; 464 S.; 19,- DM; ISBN 3-15-009606-5Die politische Philosophie hat in Deutschland nach der Wiedervereinigung aus mindestens drei Gründen gesteigerte Bedeutung erlangt: erstens ist Deutschland die vielleicht stärkste Stütze der Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg, nämlich die Fraglosigkeit wirtschaftlichen Wachstums und sozialer Stabilität, abhanden gekommen; zweitens hat sich mit der Notwendigkeit, Ableger der liberalen Demokratie im in vieler Hinsicht kargen und steinigen Boden der sog. "neuen Bundesländer" zu pflanzen, der Argumentations- und Ideenhaushalt politischen Denkens in Deutschland nicht unwesentlich geändert; und drittens ist die Frage zu beantworten, ob die deutsche politische Philosophie über die Rezeption amerikanischer Theorieentwicklungen hinaus eigenständige Beiträge zur global gewordenen Debatte über die Prinzipien des Politischen beisteuern kann. Der von Bayertz herausgegebene Band dokumentiert eindrucksvoll, daß die politische Philosophie in Deutschland diese dreifache Herausforderung erkannt hat und Antworten auf hohem Niveauu vorlegen kann.
In den meisten der sechzehn Beiträge spielt die Demokratie die Hauptrolle. Sie sei ein politischer und nicht ein moralischer Begriff, betont Vollrath; sie sei nicht bloß die beste aller schlechten Staatsformen, sondern "die beste politische Lebensform im europäischen Kontext" (61), konkludiert Becker. Aber auch die Idee der bürgerlichen Freiheit und Menschenrechte, das Recht und soziale Gerechtigkeit, die Solidarität und das Völkerrecht werden einbezogen.
Die Beiträge, die mit einer Ausnahme (Maus) von Fachphilosophen stammen und mit zwei Ausnahmen Erstveröffentlichungen darstellen, belegen beeindruckend, wie gedankenreich die philosophische Reflexion über die Verantwortung der Politik hierzulande ist. Daß sie zugleich europäisch und mit guten Gründen universal im Anspruch sein kann, zeigt Gerhardts zu Platon führender Entwurf einer politischen Anthropologie, der zu Recht am Anfang der sehr verdienstvollen Sammlung steht.
Inhalt: Philosophie, Politik und Moral: Volker Gerhardt: Lebensführung und Politik. Anthropologische Elemente einer philosophischen Theorie der Politik (9-39); Werner Becker: Die Überlegenheit der Demokratie. Politische Philosophie nach dem Scheitern des Marxismus (40-62); Gerd Irrlitz: Vier Wellen der Moralisierung von Politik (63-90); Ernst Vollrath: Der reflexionsmoralische Fehlschluß (91-110). Freiheit, Demokratie und Recht: Peter Koller: Freiheit als Problem der politischen Philosophie (111-138); Ulrich Steinvorth: Normative Grundlagen der Demokratie (139-167); Hartmut Kliemt: Macht und Ohnmacht der Moral in der Demokratie (168-193); Ingeborg Maus: Zum Verhältnis von Recht und Moral aus demokratietheoretischer Sicht (194-227). Gerechtigkeit, Solidarität und Gleichheit: Otfried Höffe: Soziale Gerechtigkeit als Tausch: ein neues Paradigma (229-248); Andreas Wildt: Gleichheit, Gerechtigkeit und Optimierung für jeden. Zur Begründung von Rawls' Differenzprinzip (249-276); Rainer Hegselmann: Ist Sozialpolitik notwendig kontraproduktiv? Eine spieltheoretische Analyse (277-304); Kurt Bayertz: Staat und Solidarität (305-329). Nation, Universalismus und internationale Beziehungen: Manfred Riedel: Menschenrechtsuniversalismus und Patriotismus. Kants politisches Vermächtnis an unsere Zeit (331-361); Julian Nida-Rümelin: Was ist Staatsbürgerschaft? (362-386); Thomas Kesselring: Das Bevölkerungswachstum als Problem der politischen Ethik (387-422); Wolfgang Kersting: Philosophische Probleme der internationalen Beziehungen (423-456).
Klaus Dicke (KD)
Prof. Dr., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.4
Empfohlene Zitierweise: Klaus Dicke, Rezension zu: Kurt Bayertz (Hrsg.): Politik und Ethik Stuttgart: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/3207-politik-und-ethik_4210, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 4210
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Prof. Dr., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
CC-BY-NC-SA