Die deutsche Politikwissenschaft hat den cultural turn - also die von einem breiten Kulturverständnis ausgehende Erschließung des Politischen - bisher eher zögerlich aufgegriffen. Wird die kulturelle Dimension politologisch thematisiert, dann geschieht das überwiegend noch im Kontext der Politischen Kulturforschung, die Kultur auf dem Wege der Einstellungsforschung untersuchen will. Neuere Ansätze jedoch - die teils hermeneutischen, teils poststrukturalistischen Positionen folgen - wollen ausdrücklich eine kulturwissenschaftliche Perspektive innerhalb der Politikwissenschaft zur Geltung bringen. Während im politikwissenschaftlichen Mainstream „Kultur als Gegenstand bzw. als Untersuchungsvariable gewählt wird, leitet Kultur in der zweiten [kulturwissenschaftlichen] Zugangsweise eher den methodischen Zugang an und bestimmt die Auswahl des begrifflichen Apparats" (26). In den Beiträgen dieses Bandes wird eindeutig der letztgenannte Zugang favorisiert. Das zeigt einerseits die sich an kulturwissenschaftlichen Schlüsselkategorien orientierende Gliederung, andererseits die durch die interdisziplinäre Herangehensweise erzeugte „Entgrenzung" des Kulturellen, der zufolge die traditionelle Politische Kulturforschung nur noch negativer Referenzpunkt bleibt (21). Aus dem Inhalt: 1. Einführung Birgit Schwelling: Der kulturelle Blick auf politische Phänomene. Theorien, Methoden, Problemstellungen (11-29) 2. Sozialtheoretische Grundlagen und Erweiterungen Andreas Reckwitz: Die Politik der Moderne aus kulturtheoretischer Perspektive: Vorpolitische Sinnhorizonte des Politischen, symbolische Antagonismen und das Regime der Gouvernementalität (33-56) Horst Hegmann / Falk Reckling: Der kultivierte Homo Oeconomicus. Zum Ort der Kultur in der Ökonomie (57-79) 3. Medien und Diskurse Peter Krause: Medienanalyse als kulturwissenschaftlicher Zugang zum Politischen (83-106) Robert Brier: Diskursanalyse. Chancen und Möglichkeiten einer kulturwissenschaftlichen Forschungsperspektive am Beispiel des polnischen Verfassungsdiskurses 1989-1997 (107-127) 4. Symbolisierungen Andre Brodocz: Die symbolische Dimension konstitutioneller Institutionen. Über kulturwissenschaftliche Ansätze in der Verfassungstheorie (131-150) Timm Beichelt: Herrschaftskultur. Symbolisierung von Politik am Beispiel der bundesdeutschen Außenpolitik (151-169) 5. Identität, Erinnerung und Gedächtnis Michael Kohlstruck: Erinnerungspolitik: Kollektive Identität, Neue Ordnung, Diskurshegemonie (173-193) Irene Götz: 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland - 1000 Jahre Ungarn: Symbolische Repräsentationen des Nationalen als Instrument gegenwärtiger Identitätspolitik (195-204) 6. Normen, Werte und Weltbilder Detlef Pollack / Olaf Müller: Die unvollendete Einheit - ein später Triumph der DDR? Theoretische Konsequenzen aus der Analyse der politischen Kultur Ostdeutschlands (207-230) Klaus Roscher: Ideen, Weltbilder, Normen und Handlungsrepertoires: Die kulturelle Wende in den Internationalen Beziehungen (231-252) 7. Wissen und Glauben Darius Zifonun: Politisches Wissen und die Wirklichkeit der Politik. Zum Nutzen der Wissenssoziologie für die Bestimmung des Politischen (255-275) Michael Minkenberg: Heilige Versteinerung? Das Verhältnis von Religion und Demokratie an der Jahrtausendwende (277-306) 8. Visualisierungen Wilhelm Hofmann: Die politische Kultur des Auges. Der pictorial turn als Aspekt des cultural turn in der Politikwissenschaft (309-334) Marion G. Müller: Politologie und Ikonologie. Visuelle Interpretation als politologisches Verfahren (335-349) Klaus von Beyme: Politische Ikonologie der modernen Architektur (351-372)