/ 19.03.2015
Magdalena Freudenschuss
Prekär ist wer? Der Prekarisierungsdiskurs als Arena sozialer Kämpfe
Münster: Westfälisches Dampfboot 2013 (Arbeit - Demokratie - Geschlecht 18); 333 S.; 29,90 €; ISBN 978-3-89691-930-4Soziolog. Diss. HU Berlin; Begutachtung: H. M. Nickel, M. Preglau. – „Prekarität“ und „Prekarisierung“ stellen nicht mehr nur in den Sozialwissenschaften, sondern mittlerweile auch in Politik und Medien die vermutlich prominentesten Begrifflichkeiten zur Beschreibung gegenwärtiger sozialer Wandlungsprozesse dar. Wie verhält es sich jedoch mit der konkreten gesellschaftlichen Realität, die mithilfe solcher Begriffe umschrieben werden soll? Eine grobe Bestandsaufnahme zeigt, dass die breite Verwendung der genannten Termini mit sehr unterschiedlichen Definitionen der sozialen Wirklichkeit einhergeht – im Grunde genommen lässt sich der Prekarisierungsdiskurs selbst als „Arena sozialer Kämpfe“ (13) fassen. Hier setzt die Autorin an und zeichnet in einer hegemonietheoretisch angeleiteten Analyse den medialen Diskurs als Aushandlungen nach, „die auf Deutungshoheit über die sozialen Umbrüche im Kontext von Arbeit abzielen“. Im Rahmen dieser Aushandlungen stehe insbesondere zur Disposition, „inwiefern soziale Ungleichheiten, die aus diesen Umbrüchen entstehen […] legitimierbar sind“ (17). Am Beispiel der Untersuchung von vier überregionalen deutschsprachigen Zeitungen (Der Standard, Die Presse, die tageszeitung und die Frankfurter Allgemeine Zeitung) kommt Freudenschuss zu dem Ergebnis, dass sich die Verwendung des Prekaritätsbegriffs anhand von zwei „argumentativen Fluchtlinien“ (243) strukturieren lässt, die sich mit Abfederung, Banalisierung und Legitimierung auf der einen und Problematisierung, Skandalisierung und Politisierung auf der anderen Seite umschreiben lassen. Der erste Diskurs lässt sich insofern als „Selbstvergewisserungsthese“ (244) fassen, als er insbesondere die Andersheit der Prekären hervorhebt und als „Abwehrstrategie einer verunsicherten gesellschaftlichen Mitte“ (245) dient. Der zweite Diskurs hingegen lässt sich weniger eindeutig zusammenfassen – vielmehr liefert er einzelne (nicht zwangsläufig miteinander kompatible) Bausteine, die die Autorin als „gegenhegemoniale Spuren“ (291) charakterisiert. Deutlich wird in jedem Fall, dass die diskursiven Verhandlungen über die Bedeutung von „Prekarisierung“ nicht lediglich Ansätze einer Interpretation und Beschreibung gesellschaftlicher Transformationen darstellen. In erster Linie sind sie selbst Teil und Ausdruck ebendieser sozialen Wandlungsprozesse und lassen sich als Versuche verstehen, sowohl die eigene subjektive Position und Identität im Rahmen sozialer Veränderungen zu definieren und zu festigen, als auch die Interessen‑ und Deutungshoheit im politischen Prozess zu gewinnen.
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Rubrizierung: 2.333 | 2.342 | 5.42 | 2.331
Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Magdalena Freudenschuss: Prekär ist wer? Münster: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/38179-prekaer-ist-wer_45177, veröffentlicht am 19.03.2015.
Buch-Nr.: 45177
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