/ 08.01.2015
Willi Baer / Karl-Heinz Dellwo (Hrsg.)
Salvador Allende und die Unidad Popular
Hamburg: LAIKA Verlag 2013 (Bibliothek des Widerstands 28); 415 S.; 29,90 €; ISBN 978-3-942281-64-5Im sechsten Band der Bibliothek des Widerstands zur Revolution in Chile sind erneut vor allem geschichtswissenschaftliche Arbeiten über die revolutionären Praxen und Strategien der Unidad Popular (UP) enthalten. Nachgezeichnet wird, dass für Chile „damals kein Paradigma oder Modell [existierte], das genauer aufgezeigt hätte, […] was getan werden müsste“ (54), und so musste der 1970 in das Amt gewählte Präsident Salvador Allende einen ganz eigenen Weg finden. In dem Band wird nachvollzogen, aus welchen Gründen er sich für den Weg der gewaltlosen Reform entschied. Tomás Moulián erläutert hierzu das Problem, dass kommunistische und sozialistische Strömungen nach innen ihre verschiedenen Auffassungen über Gewalt und nach außen ihr Verhältnis zur Doktrin der UdSSR nicht produktiv bearbeiten konnten und so auf einem Minimalkonsens stehen blieben: Weder wurde Gewalt und Enteignung ausreichend vermieden, um internationale Legitimität zu generieren, noch wurden die tatsächlichen Verhältnisse ausreichend umgewälzt, um innere Legitimität zu erreichen. Die Frage nach der Gewaltlosigkeit aber – die angesichts der Aggressionsbereitschaft der USA eigentlich keine war – „rückte die Fragestellung über die Eigenschaften des sozialistischen Aufbaus in den Hintergrund“ (69). Allendes Diktum vor dem Kongress – „Der Weg zum Sozialismus muss institutionalisiert werden“ (Mario Garcés, 118) – geriet damit an seine Grenzen und der UP fehlte es dann angesichts des Putsches an Unterstützung. So kamen die Protagonisten der Projekte für günstigen Wohnraum, die Pobladores, zu langsam voran, der „Staatsstreich überraschte sie in vielen Fällen in ihren halbfertigen Poblaciones und ohne Richtlinien noch Mittel zu haben, die Regierung zu verteidigen“ (Mario Garcés, 195). Auch die Einbindung der Arbeiter in die Produktionskontrolle, in die Selbstverwaltung bei der Versorgung und bei der Verteidigung der Fabriken befand sich „im embryonalen Zustand“ (Franck Gaudichaud, 228), sodass im Augenblick des Putsches kein gemeinsames Handeln möglich war. Die Zusammenarbeit mit sozialistischen Strömungen in den Religionsgemeinschaften scheiterte ebenfalls. Bei alledem handelte es sich aber nicht nur um subjektive Fehler Allendes und der UP, sondern um objektive Schwierigkeiten. Besonders der Beitrag über das Militär stellt heraus, wie sehr es die Umstände nahelegten, die Streitkräfte zu kooptieren. Allendes Traum aber, „der auch von vielen Offizieren, Unteroffizieren und Truppenmitgliedern geteilt wurde“ (Ver Ónica Valdivia Ortiz de Zárate, 348), scheiterte letztlich doch wieder an einem ungeklärten Dilemma: Wie kann eine Bewegung, die Staat und Gesellschaft insgesamt revolutionieren will, gleichzeitig auf die bestehenden Elemente zurückgreifen, ohne am Ende von den eigenen Kompromissen eingeholt zu werden?
{FG}
Rubrizierung: 2.65 | 2.1 | 2.22 Empfohlene Zitierweise: Florian Geisler, Rezension zu: Willi Baer / Karl-Heinz Dellwo (Hrsg.): Salvador Allende und die Unidad Popular Hamburg: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/37931-salvador-allende-und-die-unidad-popular_44579, veröffentlicht am 08.01.2015. Buch-Nr.: 44579 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA