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/ 03.09.2015
Wolfgang Grenz / Julian Lehmann / Stefan Keßler

Schiffbruch. Das Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik

München: Knaur 2015 (Knaur Klartext); 207 S.; 12,99 €; ISBN 978-3-426-78745-8
Man könnte die Wahl des Titels für geschmacklos halten, wäre da nicht der überaus wichtige, beschämende Anlass des Bandes: der Tod von monatlich mehreren hundert Menschen, die auf ihrer Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrinken. Sie alle waren und sind Teil einer Migrationsbewegung, die sich aus Angst, Verzweiflung und Hoffnung speist und auf die die Mitgliedstaaten der EU auch nach Jahren noch keine angemessene Antwort gefunden haben. Noch weniger ist die europäische Flüchtlingspolitik, die – wie die Autoren zeigen – in ihren Grundüberlegungen auf die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg zurückreicht, bisher in der Lage gewesen, angemessene Strukturen für all die Menschen zu schaffen, die aus ganz unterschiedlichen Motiven zu uns kommen. Auch wenn sich manche Staaten um eine Ausweitung selektiver Aufnahmekriterien bemühen, reichen diese Maßnahmen bei Weitem nicht aus. Und so bleibt, abgesehen von der nicht bloß metaphorisch gemeinten Erhöhung der Grenzzäune an der Peripherie Europas und dem immer wieder vorgetragenen Hinweis, das Boot sei voll (auch das rein sprachlich eine Geschmacklosigkeit), eine erschreckend schwache Bilanz der europäischen Flüchtlingspolitik. Der Band läuft in seiner Gegenwartsdiagnose auf diesen Punkt zu und die Autoren fragen nach den politischen Möglichkeiten zur Gestaltung einer menschlicheren Flüchtlingspolitik: „Die Flüchtlingspolitik steht vor einer schwierigen Herausforderung: Wie geht sie richtig mit einem Problem um, das sie selbst nicht lösen kann?“ (159) Letztlich könne es nur darum gehen, so die Autoren, präventiv tätig zu werden. Etwa, indem sich die europäische Politik stärker um die Sicherheitslage und um die Einhaltung der Menschenrechte in den Herkunftsstaaten kümmere. Oder sie könne die Menschen unterstützen, die es gar nicht erst bis vor die Tore Europas schaffen. Was aber wird aus all den Flüchtlingsbooten im Mittelmeer? Letztlich, so die Autoren, müsse die EU verstärkt Wege der legalen Einreise eröffnen – etwa durch eine Lockerung der Visumsvergabe, sodass es Flüchtlingen möglich wäre, für den Preis eines Flugtickets in die EU einzureisen und dort einen Asylantrag zu stellen, der freilich immer noch abgelehnt werden könnte. Was die ganze Thematik so wenig verdaulich macht: die Probleme sind klar, die Lösungen liegen auf dem Tisch, die Europäer (also wir) müssen sie nur umsetzen wollen. Das ist das eigentliche Plädoyer des Buches.
{LEM}
Rubrizierung: 3.54.422.343 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Wolfgang Grenz / Julian Lehmann / Stefan Keßler: Schiffbruch. München: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/38821-schiffbruch_47184, veröffentlicht am 03.09.2015. Buch-Nr.: 47184 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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