/ 19.09.2013
Anne Schulz / Patrick Rössler
Schweigespirale Online. Die Theorie der öffentlichen Meinung und das Internet
Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2013 (Internet Research 43); 256 S.; brosch., 39,- €; ISBN 978-3-8487-0033-2Elisabeth Noelle‑Neumann entwickelt Anfang der 1970er‑Jahre mit ihrer Theorie der öffentlichen Meinung einen der bis heute meist diskutiertesten Ansätze der Kommunikationswissenschaft. Knapp formuliert geht sie auf einer sozialpsychologischen Ebene davon aus, dass Menschen Furcht vor Isolation haben und sich deshalb den Meinungen ihrer Umwelt anschließen. Gleichzeitig bewirkt dieser Integrationswunsch eine erhöhte Redebereitschaft bei denjenigen, die sich in der öffentlichen Mehrheitsmeinung befinden, während Minderheitenmeinungen immer seltener vorgebracht werden. Noelle‑Neumann hat diesen Prozess eine Schweigespirale genannt und angenommen, dass die Massenmedien wegen ihres großen Einflusses auf die öffentliche Meinung diese Spirale auslösen – insbesondere dann, wenn sie konsonant über ein Thema berichten. Die Autoren fragen nun, wie groß die Erklärungskraft der Theorie unter den veränderten Umständen des Internetzeitalters noch ist. Zunächst bieten sie eine gut verständliche Einführung in die Theorie, ihre Voraussetzungen und Kritikpunkte. Auf dieser Grundlage entwickeln sie dann Schritt für Schritt ein eigenes theoretisches Modell für den Meinungsbildungsprozess, das Mikro‑ und Makroebenen zusammenbringt sowie die Veränderungen durch das Internetzeitalter integrieren kann. Als zentrales Ergebnis lässt sich festhalten, dass die theoretischen Überlegungen auf der Mikroebene zu verschiedenen Schlussfolgerungen über die möglichen aggregierten Effekte führen, die die Theorie von Noelle‑Neumann weniger plausibel machen. Demnach werden Schweigespiralen unwahrscheinlicher, weil das Internet eine Vielfalt an Medieninhalten zur Verfügung stelle, womit einer konsonanten Berichterstattung ausgewichen werden könne. Zudem werde durch die Ausbildung von neuen Gruppenkontexten als Referenzrahmen für die Meinungsbildung die Öffentlichkeit weniger bedrohlich, da sich für jede Meinung eine Referenzgruppe finden lasse. Angesichts dieser individualisierten Informations‑ und Kommunikationsstrategien erfülle das Internet eine geringere Funktion bei der sozialen Kontrolle. Zugleich biete es die Möglichkeit, die öffentliche Meinung über den Weg der Partizipation zu beeinflussen. Der Prozess der Schweigespirale könne den Autoren zufolge daher wohl nur noch entstehen, wenn sich zum Beispiel in einer größeren Teilöffentlichkeit eine Subspirale ausbilde, die sich dann auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu einer Schweigespirale entwickle. Wie die Autor_innen selbst betonen, bedarf dieses Modell einer empirischen Unterfütterung, die es zugleich mit diesen theoretischen Überlegungen anleiten kann.
Jan Achim Richter (JAR)
Dipl.-Politologe, Doktorand, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.2 | 5.42
Empfohlene Zitierweise: Jan Achim Richter, Rezension zu: Anne Schulz / Patrick Rössler: Schweigespirale Online. Baden-Baden: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/36197-schweigespirale-online_44060, veröffentlicht am 19.09.2013.
Buch-Nr.: 44060
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Dipl.-Politologe, Doktorand, Universität Hamburg.
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