Der von Graf erstmals veröffentlichte, 48 Seiten umfassende Text des bedeutenden Theologen Martin Dibelius entstand Anfang 1946 in Heidelberg. Er steht im Kontext der Diskussion von Jaspers' Thesen zur Schuldfrage einerseits und der Stuttgarter Erklärung der EKD andererseits. Dibelius faßt zusammen: "Es handelt sich heute für uns in erster Linie nicht um ein Gerichtsurteil, das unsere Schuld konstatiert, sondern um eine Befragung der Geschichte, aus der sich unsere Verantwortung ergibt. Eine solche Befragung wurde hier versucht. Sie ging aus von der Verantwortung der Wähler aus den letzten Jahren der Republik, denn diese Wähler haben Hitler zur Macht verholfen. Sie befaßte sich mit der Frage, wie gerade Träger der Bildung, der Autorität, des christlichen Glaubens zu Schrittmachern des Ungeistes, der Revolution, der Gottlosigkeit werden konnten und hielt sich darum an das Beamtentum, die Wehrmacht und die Evangelische Kirche. Was sich zeigte, war ein erschütterndes Bild" (38). Auf den letzten Seiten werden Schuld, Sünde ("jener kleine Beisatz an Bösem", 39) und "Kollektivschuld" (" [...] etwas, das uns alle eint unter dem Schicksal unseres Volkes", 48) erörtert. In seiner präzisen historischen Konkretheit ist der Text, dessen Veröffentlichung an Bedenken der französischen Zensur und schließlich am frühen Tod des Verfassers im November 1947 scheiterte, eine herausragende ideengeschichtliche Quelle zur Schulddiskussion im Nachkriegsdeutschland. Er zeigt überdies, daß Dibelius auch zu den herausragenden politischen Köpfen in Deutschland in der ersten Hälfte des Jahrhunderts gehört (man lese dazu seinen Aufsatz "Protestantismus und Politik" in: Die Wandlung 2 [1947], 30-45). - Eine Biographie mit Erläuterungen zum Text aus der Feder des Herausgebers (51-93) und ein Personenregister runden die Edition ab.