/ 23.04.2015
Joachim Hirsch / Oliver Brüchert / Eva-Maria Krampe / u. a.
Sozialpolitik anders gedacht: Soziale Infrastruktur. Hrsg.: AG links-netz
Hamburg: VSA 2013; 213 S.; 18,80 €; ISBN 978-3-89965-577-3Marx hat einmal gesagt, „dass das Kapital sich nicht mehr verwerten kann, wenn die notwendige Arbeit infolge des technischen Fortschritts auf ein Minimum reduziert wird“ (9). Zumindest tendenziell scheinen wir uns gegenwärtig diesem Zustand der kapitalistischen Entwicklung angenähert zu haben. Marx' Vermutung, dass der Kapitalismus an diesem Punkt historisch überlebt sein und einer alternativen Produktionsweise weichen würde, scheint jedoch (zumindest vorerst) widerlegt. Stattdessen erweist sich unser Wirtschaftssystem als zäher und flexibler als vermutet – freilich zum Preis zunehmender Verschleißproduktion, steigender Armutsquoten, Privatisierung öffentlicher Güter und wachsender (marktförmig oder gesetzlich organisierter) Arbeitszwänge. Wo aber Vollbeschäftigung als Grundlage staatlicher Sozialpolitik keine Option mehr ist, während zugleich die verheerenden sozialen Auswirkungen der zunehmenden kapitalistischen Krisentendenzen immer sichtbarer werden, wird es notwendig, über alternative Wege nachzudenken, wie ein menschenwürdiges Leben für alle (sozialpolitisch) garantiert werden kann. Die Autor_innen des Bandes schlagen diesbezüglich den Ausbau einer „sozialen Infrastruktur“ vor. Darunter verstehen sie öffentlich organisierte „Einrichtungen, die gewährleisten, dass wichtige Grundbedürfnisse allen Menschen in rechtsverbindlich abgesicherter Weise kostenlos oder zumindest kostengünstig zur Verfügung stehen“ (12). Dies betreffe vor allem die Bereiche Gesundheit, Bildung und Kultur, Verkehr und Wohnen. Es sticht hervor, dass es dabei nicht in erster Linie um finanzielle Umverteilung geht. So ist zum Beispiel auch die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen ein zwar sinnvoller, aber nachrangiger Aspekt (Beitrag von Wolfgang Völker). Im Vordergrund steht vielmehr die Notwendigkeit, den Zugang zu lebensnotwendigen Gütern nicht länger von Anrechten abhängig zu machen, die man durch ein nicht mehr zukunftsfähiges Vollzeitarbeitsverhältnis erwirbt (Beitrag von Heinz Steinert). Dass solche Vorschläge angesichts ökonomischer und politischer Macht‑ und Interessenkonstellationen derzeit kaum realisierbar sind, ist den Autor_innen durchaus bewusst. Es geht ihnen dementsprechend vor allem darum, einen notwendigen Diskurs darüber anzustoßen, wie eine solidarische Gesellschaft angesichts kapitalistischer Krisentendenzen langfristig organisiert werden kann. Dazu leisten die Artikel des Bandes einen anregenden Beitrag.
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Rubrizierung: 2.262 | 2.343 | 2.22 | 2.331 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Joachim Hirsch / Oliver Brüchert / Eva-Maria Krampe / u. a.: Sozialpolitik anders gedacht: Soziale Infrastruktur. Hamburg: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/38313-sozialpolitik-anders-gedacht-soziale-infrastruktur_44991, veröffentlicht am 23.04.2015. Buch-Nr.: 44991 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA