/ 22.06.2013
Ruth Hoffmann
Stasi-Kinder. Aufwachsen im Überwachungsstaat
Berlin: Propyläen Verlag 2012; 319 S.; 2. Aufl.; geb., 19,99 €; ISBN 978-3-549-07410-7Ein sich selbst reproduzierendes Milieu, diszipliniert „durch Verhaltensnormen, die weit ins Privatleben reichten, abgeschottet vom Rest der Bevölkerung durch eigene Wohngebiete, Ferienheime, Kindergärten und den Zwang zur Geheimhaltung des eigenen Tuns“ (70) – in diese Welt wurden die Kinder der Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR hineingeboren. Die Journalistin Ruth Hoffmann zeichnet in ihrem Buch, basierend vor allem auf Interviews und einiger Literatur, die Lebenswege von dreizehn dieser Kinder nach. Zwei von ihnen – Pierre Boom, Sohn von Günther Guillaume, sowie die Bürgerrechtlerin und Politikerin Vera Lengsfeld – haben ihre jeweilige Lebensgeschichte zuvor schon selbst publiziert. Nun zeigt sich, dass ihre Schicksale keine Einzelfälle sind, Pierre Boom war nicht der einzige im Westen Heranwachsende, der mit der Spitzeltätigkeit seines Vaters für die DDR konfrontiert wurde und sich plötzlich auch noch in dem anderen Teilstaat wiederfand, herausgerissen aus dem eigenen Leben. Die Kindheit und Jugend von Vera Lengsfeld bildet nur insofern eine Ausnahme, da ihr Vater nicht versuchte, das autoritäre Regime auch noch in die Familie zu tragen. Genau dies aber war bei der Mehrheit der geschilderten Familien der Fall, basierend auf einer gängigen Lüge: Die Väter arbeiteten offiziell meist beim Ministerium des Inneren (Frauen wurden beim MfS höchstens als Schreibkraft beschäftigt), ihr konspiratives Verhalten ging so weit, dass sie nicht einmal den Wohnungsnachbarn, der auch ihr Kollege war, grüßten. Nach den Beschreibungen ihrer Kinder war es eine harte, lieblose Welt, oft genug voller Prügel, in der allein gute Schulnoten und die richtige Gesinnung zählten. Verboten waren Kontakte zu Westverwandten und selbst Brieffreundschaften zu Kindern aus kommunistisch gesinnten Familien im westlichen Ausland, ebenso untersagt war der Konsum westlicher Medien. Gerade diese boten aber meist das erste Fenster zu einer Welt außerhalb des eigenen Milieus. Ging dann das mittlerweile (fast) erwachsene Kind einen eigenen Weg in der Partner- und Berufswahl, der nicht den strengen Regeln des MfS folgte, brachen nicht selten die Eltern (vor allem die Väter) den Kontakt zu ihnen ab. Hoffmann ergänzt diese Schilderungen mit Exkursen, in denen die abgeschottete Welt des MfS auf dem Stand der Forschung dargestellt wird. Unterstützt wurde sie u. a. von dem Historiker Jens Gieseke, dem Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Thüringen Matthias Wanitschke, Mitarbeitern der Gedenkstätte Hohenschönhausen und Psychotherapeuten, die halfen, die möglichen psychischen Folgen der Arbeit für das MfS einzuordnen. So ist ein insgesamt einfühlsam geschriebenes Buch entstanden, das die Härte der SED-Diktatur in besonderer Weise zeigt.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.314 | 2.35
Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Ruth Hoffmann: Stasi-Kinder. Berlin: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/35350-stasi-kinder_42590, veröffentlicht am 27.09.2012.
Buch-Nr.: 42590
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Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
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