Skip to main content
/ 07.11.2013
Andreas H. Apelt / Robert Grünbaum / Jens Schöne (Hrsg.)

2 x Deutschland. Innerdeutsche Beziehungen 1972-1990

Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag 2013; 328 S.; brosch., 19,95 €; ISBN 978-3-89812-961-9
„Man kann in einem totalitären System kaum Erleichterung durchsetzen, indem man unten das Feuer schürt, man ist gezwungen, auf die obere Verhandlungsebene zu gehen.“ (244) Claus‑Jürgen Duisberg, von 1986 bis 1990 Leiter des Arbeitsstabs Deutschlandpolitik im Bundeskanzleramt, formuliert damit den Kerngedanken der bundesdeutschen Politik gegenüber der DDR seit Beginn der 1970er‑Jahre – nach der Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni 1953 war dies vielleicht der einzig mögliche Ansatz. Wie schwierig es war, über diesen Weg wenigstens humanitäre Erleichterungen zu erreichen, wird in diesem Band deutlich – aber auch, dass die Kommunikation mit der Diktatur durchaus „unten“ positive politische Effekte erzielen konnte. So erinnert sich die Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe, dass es vor dem Besuch Erich Honeckers in Westdeutschland den oppositionellen Gruppen in der DDR erstmals unbehelligt gelang, öffentlich zu demonstrieren. Diese Zwischentöne sind es, die – auch – dazu beitragen, dass dieser Band lesenswert ist. Er geht zurück auf eine achtteilige Veranstaltungsreihe aus dem Jahr 2012, initiiert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED‑Diktatur, der Berliner Landesbeauftragten für die MfS‑Unterlagen sowie der Deutschen Gesellschaft. Auf eine grundsätzliche Problematisierung des deutsch‑deutschen Verhältnisses von 1972 bis 1989 durch Bernd Faulenbach folgen Beiträge zu einzelnen Themenkomplexen, die jeweils in Podiumsdiskussionen erweitert und dabei durch vor 1989 oftmals unbeachtete Perspektiven – siehe nicht nur die Beiträge von Ulrike Poppe – ergänzt werden. Im zeitlichen Abstand erweist es sich nicht nur als möglich, die Bedeutung des Grundlagenvertrages, die Stellung der Kirche, den Versuch der Entspannung mitten im Kalten Krieg oder den sogenannten Häftlingsfreikauf differenziert zu diskutieren. Das Ende des politischen Streits im Westen über den möglichst besten Umgang mit der DDR – einen „richtigen“ hatte es wohl kaum geben können – lässt auch den unverstellten Blick zu auf die westdeutschen Versuche, alles richtig zu machen und dann doch manchmal wenig oder nichts erreicht zu haben. Als Kulminationspunkt zeigt sich dabei das Jahr 1987, in dem das SED‑SPD‑Papier publiziert und ein politisch kompromissloser Honecker in Bonn von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) empfangen wurde. Mit dem Blick auf jenes Jahr und seine Vorgeschichte zeigt sich, dass mit dem Grundlagenvertrag zwar, wie Faulenbach schreibt, die deutsch‑deutschen Beziehungen als Prozess begriffen worden waren. Die langen Linien bis zur Revolution 1989 aber sind nicht immer leicht zu erkennen.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.32.3132.3142.352.3254.12.331 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Andreas H. Apelt / Robert Grünbaum / Jens Schöne (Hrsg.): 2 x Deutschland. Halle (Saale): 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/36386-2-x-deutschland_44529, veröffentlicht am 07.11.2013. Buch-Nr.: 44529 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
CC-BY-NC-SA