/ 21.05.2015
Ian Buruma
'45. Die Welt am Wendepunkt. Aus dem Englischen von Barbara Schaden
München: Carl Hanser Verlag 2014; 412 S.; 26,- €; ISBN 978-3-446-24734-5Wollte man nur ein Buch über das Jahr lesen, in dem der Zweite Weltkrieg endete und sich die Verhältnisse in der Welt in vielerlei Hinsicht neu sortierten, sollte es dieses sein: Der Niederländer Ian Buruma, Professor of Human Rights and Journalism am Bard College, New York, entfaltet 1945 als historisches Panorama, das niemals eine Stunde null war, wohl aber eine Übergangsphase ganz eigenen Charakters. Dass es sich dabei um eine Zeit handelt, die trotz von inzwischen 70 vergangenen Jahren immer noch mit der Gegenwart verknüpft ist, veranschaulicht Buruma mit dem Schicksal seines Vaters. Nachdem NS‑Deutschland die Niederlande besetzt hatte, war dieser, damals noch Student, zur Zwangsarbeit nach Berlin verschleppt worden und erlebte dort das Kriegsende – und als Besucher schließlich die Silvesterfeier 1989/90, mit der die Deutschen das Ende der Teilung ihres Landes feierten. Diese Erlebnisse dienen als roter Faden, unaufdringlich im Buch verwoben, aber doch unübersehbar ein Hinweis darauf, dass das Weltgeschehen immer von Individuen erlebt und erlitten wird. Bemerkenswert sind insgesamt die sowohl räumlichen als auch gesellschaftlichen Dimensionen, die Buruma in seinen nach inhaltlichen Schwerpunkten gegliederten Kapiteln konsequent herausarbeitet. Das Buch ist dabei keineswegs auf Europa beschränkt, Asien erhält ebenso Aufmerksamkeit. Deutschland und Japan dienen einander als Kontrastfolien und auffällig ist, dass trotz aller Unterschiede in ähnlicher Weise mit den Kriegsregimen gebrochen wurde, indem die Vorkriegseliten ihre Handlungsmacht zurückgewannen. Als einen alle Länder übergreifenden Politikansatz macht Buruma das Vorhaben aus, die Wirtschaft (mehr oder weniger) zu planen – ein Beispiel ist Frankreich, wo große Unternehmen verstaatlicht wurden. Wie sehr die Gesellschaften selbst in Bewegungen geraten waren, zeigt sich mit Blick auf die Frauen, die in Westdeutschland und anderen westeuropäischen Staaten mit ihren Befreiern Beziehungen eingingen – Buruma sieht in diesen sogenannten Fraternisierungen einen Akt der Selbstbestimmung und Emanzipation junger Frauen. Als Meilensteine für die künftige Wahrnehmung der Menschenrechte und die Aufgaben des Völkerrechts schließlich beschreibt Buruma die Unterzeichnung der Charta der Vereinten Nationen und die ebenfalls 1945 beginnenden Nürnberger Prozesse. Auch wenn diese Ereignisse zunächst ohne konkrete weltpolitische Folgen bleiben sollten, hatte man sich doch immerhin darauf geeinigt, das Verbrechen gegen die Menschheit und das Verbrechen gegen den Frieden zu ächten.
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Rubrizierung: 4.1 | 2.1 | 2.2 | 2.61 | 2.68 | 2.23 | 2.35 | 2.27 | 2.36 | 2.313 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Ian Buruma: '45. Die Welt am Wendepunkt. München: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/38450-45-die-welt-am-wendepunkt_46902, veröffentlicht am 21.05.2015. Buch-Nr.: 46902 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA