/ 05.03.2015
Friedhelm Hengsbach
Teilen, nicht töten
Frankfurt a. M.: Westend Verlag 2014; 128 S.; 12,- €; ISBN 978-3-86489-069-7Die Zeichen der Zeit, wie Hengsbach sie deutet, sind ambivalent, gar widersprüchlich. Auf der einen Seite sei ein „verweigertes Teilen“ zu beobachten, das sich in immer mehr blutigen Konflikten und Kriegen an der Peripherie der reichen Welt manifestiere, wobei in den armen Ländern mit Waffen gemordet werde, die aus der reichen Welt stammten. Auf der anderen Seite stehe die „Wiederentdeckung des Teilens“ (7), dieses habe im Zuge einer durch die „kapitalistische Dynamik“ vertieften sozialen Spaltung und zunehmend zersetzten Solidarität in der Demokratie eine ungeahnte Renaissance erfahren. „Welche Entscheidungs‑ und Handlungsimpulse“, fragt Hengsbach, „sollten diese Zeichen auslösen?“ (8) Seine Antwort, die er an den Gegenwartsdiagnosen von Papst Franziskus und Thomas Piketty orientiert, zumindest aber von ihnen inspiriert sieht, nimmt einen großen Bogen. Dieser reicht von pointierten Darstellungen alltäglicher Erscheinungsformen sozialer Ungleichheit in der deutschen und, am Rande, den anderen europäischen Gesellschaften bis hin zu den Konsequenzen eines „Imperialismus des Internationalen Finanzkapitals“ (92), den – man höre und staune – bereits Papst Pius der XI. in der „Enzyklika Quadragesimo Anno“ beklagt habe. Hengsbach hält diesen sozialen Verwerfungen eine – nicht zuletzt anhand verschiedener Bibelauslegungen begründete – Forderung nach relativer Angleichung der Lebensverhältnisse und echter Solidarität entgegen. Gelebte Solidarität, jenes „Andere der Gerechtigkeit“ (98), könne maßgeblich dazu beitragen, das immer offenkundiger werdende Marktversagen des zeitgenössischen Kapitalismus zu überwinden. Hengsbachs Ziel lautet: „Nicht die Demokratie soll marktkonform werden, sondern der Kapitalismus demokratiekonform.“ (104) Einige konkrete politische wie soziale Reformvorschläge – mehr Zeitautonomie für Arbeitnehmer, verringerte Wochenarbeitszeit oder, auf europäischer Ebene, ein Vorantreiben der sozialen Kohäsion – erwecken den Eindruck, man müsse politisch nur wollen, um aus der gegenwärtigen Lage auszubrechen. Was aber, wenn die Demokratie in Deutschland, wenn die Demokratien in Europa bereits längst marktkonform geworden sind? Was, wenn die neoliberale Hegemonie tatsächlich bereits fest etabliert ist? Und wenn dem so ist: wie hat es soweit kommen können? – Dieses sind die eigentlich spannenden Fragen in dem von Hengsbach skizzierten Kontext. Auf seinem Buch aufbauend ließen sie sich diskutieren.
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Rubrizierung: 5.42 | 2.2 | 2.23 | 2.35 | 2.22 | 2.331 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Friedhelm Hengsbach: Teilen, nicht töten Frankfurt a. M.: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/38142-teilen-nicht-toeten_46519, veröffentlicht am 05.03.2015. Buch-Nr.: 46519 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA