In einschlägigen Publikationen und Forschungen zum Kalten Krieg gilt noch immer die Big‑Power‑Politics‑Perspektive als gängige Grundannahme und bevorzugtes Erklärungsmuster, um dessen Genese, Verlauf und Ende zu analysieren. Diese gefestigten und oft nur iterativ wiedergegebenen Erkenntnisse über den Kalten Krieg werden in diesem Sammelband mit Blick auf die baltischen Länder evaluiert. Er ist aus einem im November 2010 im estnischen Tartu abgehaltenen internationalen Workshop hervorgegangen, der in Zusammenarbeit des Nordic and North/Central European Network of Cold War Researchers (NORCENCOWAR) mit den Forschungsprojekten „Baltic Regionalism: Constructing Political Space(s) in Northern Europe, 1800–2000“ und „Estonia in the Era of the Cold War“ ausgerichtet wurde. Die Teilnehmer des Workshops zeichnen in ihren Beiträgen unter anderem aus ökonomischer, gesellschaftlicher, europapolitischer und nachrichtendienstlicher Perspektive die Nebenlinien dieses Konfliktes im baltischen und nordischen Kontext nach. Pauli Heikkilä rekonstruiert die interessante „Federalist Movements of the Baltic States“ (90), in der das Engagement der baltischen Staaten im europäischen Integrationsprozess im historischen Rückblick konsistent und nachhaltig erscheint. Indem Vahur Made die estnisch‑chinesischen Beziehungen in den Mittelpunkt stellt, erweitert er die Akteursperspektive und zeigt auf, dass das Ringen um geopolitische Einflussnahme sich nicht alleinig auf die USA und die UdSSR reduzieren lässt.