/ 31.05.2013
Günter Wollstein
Theobald von Bethmann Hollweg. Letzter Erbe Bismarcks, erstes Opfer der Dolchstoßlegende
Göttingen/Zürich: Muster-Schmidt Verlag 1995 (Persönlichkeit und Geschichte 146/147); 171 S.; 18,- DM; ISBN 3-7881-0145-8Von Bethmann Hollweg begann seine politische Karriere als Landrat. Im weiteren Verlauf wurde der promovierte Jurist und Verwaltungsfachmann jüngster Oberpräsident der Provinz Brandenburg, preußischer Innenminister, unter Reichskanzler Bernhard von Bülow Staatssekretär des Innern und schließlich als Nachfolger des in der Daily-Telegraph-Affäre glücklos agierenden Bülow 1909 selbst zum Kanzler des Deutschen Reiches ernannt. In der von Wollstein sehr positiv gehaltenen Biographie erscheint Bethmann Hollweg als klarsichtiger Politiker, der allerdings von grundlegenden Selbstzweifeln geplagt wurde.
Als preußischer Innenminister beschäftigte sich Bethmann Hollweg vornehmlich mit einer Weiterentwicklung des preußischen Wahlrechts, konnte sich aber nicht mit seinen liberalen Vorstellungen gegen die Konservativen im Preußischen Landtag durchsetzen. Auch als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident ist Bethmann Hollweg in der Wahlrechtsfrage erfolglos geblieben. Gegenüber einem Kaiser, der selbst Politik machen wollte, fand er keine eigene Linie und gegenüber einem seit 1912 von einer starken sozialdemokratischen Fraktion beherrschten Reichstag befand er sich zumeist in der Defensive, weil er es nicht verstand, parlamentarische Mehrheiten zu bilden. Bethmann Hollweg beschränkte sich zunehmend auf das Gebiet, das er beherrschte: die Verwaltung der Regierungsgeschäfte. Seine Absicht, die durch eine rigide Flottenpolitik hervorgerufene Isolation Deutschlands aufzubrechen, scheiterte, weil er - wie Wollstein schreibt - "sein plausibles Konzept nicht mit allen Konsequenzen praktizieren konnte oder wollte". Trotz der wohlwollenden Beurteilung durch Wollstein zeigt sich, daß Bethmann keineswegs über die außenpolitischen Fähigkeiten verfügte, wie sie etwa Bismarck besaß. Während des Ersten Weltkrieges trat die fehlende Durchsetzungskraft des Reichskanzlers deutlich zu Tage, als er sich vergeblich darum bemühte, seine Position gegenüber einer mächtigen Obersten Heeresleitung zu behaupten.
Axel Gablik (AG)
Dr., Historiker.
Rubrizierung: 2.311
Empfohlene Zitierweise: Axel Gablik, Rezension zu: Günter Wollstein: Theobald von Bethmann Hollweg. Göttingen/Zürich: 1995, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/613-theobald-von-bethmann-hollweg_419, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 419
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Dr., Historiker.
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