/ 04.06.2013
Jon Sopel
Tony Blair. Der Herausforderer. Aus dem Englischen von Reinhard Plehwe
Stuttgart: Quell 1996; 452 S.; geb., 48,- DM; ISBN 3-7918-1977-1Sopel ist Korrespondent der BBC in Westminster und freier Journalist. Seine Biographie des britischen Premierministers war nicht autorisiert und beruht u. a. auf Gesprächen mit Blair selbst sowie mit Freunden und Gegnern in der privaten und in der politischen Arena. In einem überaus lebendigen und dennoch sachlichen Stil mit Tempuswechseln, Rückblenden und souveränen Perspektivwechseln erzählt Sopel die politische Geschichte Blairs bis zur Zeit als Herausforderer von John Major. Im ersten Viertel zeichnet er den Lebensweg Blairs bis 1983 nach: geprägt durch einen ehrgeizigen Vater, der einen Schlaganfall erlitt, als Tony erst zehn Jahre alt war, und eine schwerkranke Schwester. Trotz dieser ganz und gar nicht sorgenfreien Jugend tat sich Blair durch seine Lebensfreude, seinen Charme und seine Einsatzbereitschaft hervor. Auch der frühe Tod seiner Mutter, so Sopel, stachelte die Ambitionen des 22jährigen Oxford-Studenten an, sich schnell weiterzuentwickeln. Zügig durchfährt auch der Autor die sechsjährige erfolgreiche Tätigkeit Blairs als Rechtsanwalt, in der er seine Frau Cherie kennenlernte und seine politische Laufbahn Form annahm, bis eine neue Geschichte beginnt, eine Reise nach Sedgefield, von der er laut Cherie "nie mehr zurück[kam]" (93).
In dem entlegenen Wahlkreis im Nordosten Englands gewinnt Blair überlegen ein Mandat bei der Unterhauswahl 1983. Von hier an ist der politische Berichterstatter Sopel ganz in seinem Metier. Er entrollt eine Biographie der Person Blairs – zugleich eine Geschichte der Parteiführung von Labour in den 90er Jahren, die oftmals wie ein spannender Roman zu lesen ist. Der Leser lernt die politischen Gruppierungen und die innerste Führungsriege von Labour kennen, insbesondere Blairs Weggefährten Gordon Brown und Peter Mandelson, mit denen er seit den 80ern zu den kritisch beäugten "Modernizers" gezählt wurde. Nach der abermaligen Niederlage Labours mit Neil Kinnock und dem Sieg Bill Clintons in den USA 1992 studieren die Modernizers aufmerksam Rhetorik und Programmatik der Demokratischen Partei und nehmen intensive Kontakte auf (199 ff.). Aus den Machtspielen innerhalb der Partei nach 1992, von Sopel minutiös analysiert, geht zunächst John Smith als neuer Parteivorsitzender hervor. Smith ernennt Blair nicht zu seinem Stellvertreter, auch weil Blair das Amt nicht mit letzter Entschlossenheit anstrebt. Nach Smith' Tod 1994 zeigt Sopel glaubwürdig den Lernprozeß bei Blair auf. In der Nachfolgefrage – dargestellt im spannenden Kapitel "Blutsbrüder" (236 f.) - behauptet sich Blair überaus entschlossen gegen Gordon Brown, der sich schließlich dem öffentlichen Druck beugen muß. Sopel beschreibt immer wieder, daß Blair nicht nur durch ein gewinnendes Lächeln erfolgreich ist. Neben seinen persönlichen Vorzügen weiß Blair die Medien für sich einzusetzen, z. B. um sich in der Partei ins Gespräch zu bringen (191), er pflegt den Kontakt zu den Wählern und kann ihre Stimmungen erfolgreich einschätzen (213); er bleibt im engen Kontakt zu seinen Beratern und zögert nicht, innerparteiliche Tabus zu brechen (402 ff.).
Im Nachwort zur deutschen Ausgabe stellt Sopel in Frage, ob der traditionalistische Flügel bei Labour auch gefolgsam sein wird, wenn Blair erst einmal regiert. Der Vergleich mit SPD-Entwicklungen ist hier kein Thema, zu unterschiedlich sind die Personen und politischen Rahmenbedingungen. Der Ruf nach einem deutschen Blair ist – soviel wird durch die Lektüre deutlich – illusorisch. Allerdings zeigt Sopel anhand der britischen Erfolgsgeschichte eine Reihe von Beispielen für Virtù und Fortuna auf, die auch ein sozialdemokratischer Spitzenkandidat benötigen wird, wenn die Gelegenheit dazu kommen sollte.
Stefan Lembke (SL)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.1 | 2.61 | 2.24
Empfohlene Zitierweise: Stefan Lembke, Rezension zu: Jon Sopel: Tony Blair. Stuttgart: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/5000-tony-blair_6598, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 6598
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M. A., Politikwissenschaftler.
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