/ 14.11.2013
Dietmar Neutatz
Träume und Alpträume. Eine Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert
München: C. H. Beck 2013 (Europäische Geschichte im 20. Jahrhundert); 688 S.; geb., 29,95 €; ISBN 978-3-406-64714-7In der vom Freiburger Neuzeithistoriker Ulrich Herbert herausgegebenen Reihe zur europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts (die bisher vorliegenden fünf Bände sind alle bereits 2010 erschienen, siehe Buch‑Nr. 38430, 38431, 38432, 39656 und 39657) nimmt die Überblicksdarstellung des ebenfalls in Freiburg ansässigen Osteuropahistorikers Dietmar Neutatz eine Sonderrolle ein. Der Umfang liegt mit knapp 700 Seiten um 200 Seiten höher als derjenige der bereits erschienenen Titel. Auf einen programmatischen Obertitel wurde bei diesen Büchern jeweils verzichtet. Zudem legt Neutatz dezidiert „eine“ Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert vor – eine solche Einschränkung findet sich bei den Titeln zu Polen, Jugoslawien, Großbritannien, Italien und Spanien nicht. Unter Rückgriff auf die aktuelle Forschung – klassische Darstellungen zur russischen/sowjetischen Geschichte wie die Günther Stökls oder Georg von Rauchs finden im Literaturverzeichnis keine Erwähnung mehr – wählt Neutatz einen multiperspektivischen Ansatz, der sich unter anderem ausführlich dem Verhältnis von Zentrum und Peripherie widmet. Die viel diskutierte Nationalitätenfrage wird dagegen bewusst nur schlaglichtartig gestreift – hier hätten Ansätze für eine „andere“ Geschichte Russlands im 20. Jahrhunderts gelegen, sodass der einschränkende Untertitel seine Berechtigung hat. Im Zentrum der Darstellung stehen darüber hinaus die Frage nach Selbstverständnis und Selbstwahrnehmung der russischen Eliten sowie die Gegenüberstellung von Ideal bzw. Ideologie und Wirklichkeit in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Programmatisch hierfür steht der Obertitel der Träume, die oft genug zu Alpträumen wurden. Er manifestiert sich auch im Diktum Viktor ?ernomyrdins, das dem Resümee vorangestellt ist: „Wir wollten das Beste, aber es kam wie immer“ (584). Demnach schaffte es „keine der drei Neuerfindungen“ Russlands im 20. Jahrhundert – die Reformpolitik im späten Zarenreich, die bolschewistische Revolution und die Transformation nach 1985/1991 –, „die Kluft zwischen den Elitediskursen und der gelebten Praxis zu überbrücken“ (585).
Martin Munke (MUN)
M. A., Europawissenschaftler (Historiker), wiss. Hilfskraft, Institut für Europäische Studien / Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 2.62 | 2.1 | 2.2 | 2.25
Empfohlene Zitierweise: Martin Munke, Rezension zu: Dietmar Neutatz: Träume und Alpträume. München: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/36416-traeume-und-alptraeume_44662, veröffentlicht am 14.11.2013.
Buch-Nr.: 44662
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M. A., Europawissenschaftler (Historiker), wiss. Hilfskraft, Institut für Europäische Studien / Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität Chemnitz.
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