Die vorliegende Arbeit kehrt die gewöhnliche Perspektive der historischen Untersuchungen zur "Kollaboration" um, indem sie ihren Gegenstand nicht vom Standpunkt der französischen Gesellschaft zwischen "Collaboration" und "Résistance" auffaßt, sondern als vielschichtiges und widersprüchliches Phänomen durch den Filter der Akten der Besatzungsmacht betrachtet. Ihr Ziel ist daher nicht, nach Motiven, Intentionen, Gründen und Maximen der Kollaboration zu suchen (ein Feld, das die Forschung bereits auf vielfältige Weise mehr oder weniger ertragreich beackert hat), sondern die Umstände und Bedingungen kollaborationistischer Politik oder kollaborationistischen Verhaltens (zum Beispiel auf Seiten der Wirtschaft oder der öffentlichen Einrichtungen) zu bestimmen. Dabei geht die Autorin von der Annahme aus, daß weder eine Charakterisierung des "collaborationisme" als "französische Ausnahmepolitik in einer Ausnahmesituation"(8) noch seine Erklärung allein als Reaktion auf den durch die deutsche Besatzungsmacht ausgeübten Druck zureichend sind. Stattdessen versucht sie, die Entscheidungsprozesse und Machtmechanismen, persönlichen Ambitionen und politischen Fehleinschätzungen auf französischer Seite zu beleuchten, wie sie von der Gegenseite wahr- und vielfach von der Besatzungspolitik aufgenommen und gegeneinander ausgespielt wurden. So werden die Spielräume bzw. die Grenzen für eine "Zusammenarbeit" mit der deutschen Okkupationsverwaltung deutlich, wenn auch deren komplexe Struktur und die durchaus feststellbaren Interessengegensätze und Unterschiede der politischen Zielsetzung innerhalb der verschiedenen Instanzen des deutschen Besatzungssystems als Komplement zur ebenso heterogenen französischen Seite zuweilen ausführlicher hätten dargestellt werden können.