/ 06.03.2014
Michael Kubina
Ulbrichts Scheitern. Warum der SED-Chef nicht die Absicht hatte, eine "Mauer" zu errichten, sie aber dennoch bauen ließ
Berlin: Ch. Links Verlag 2013 (Beiträge zur Geschichte von Mauer und Flucht); 520 S.; 49,90 €; ISBN 978-3-86153-746-5„Angesichts der unbestritten sehr lückenhaften Quellenlage im Vorfeld des Mauerbaus ist es schlichtweg nicht möglich, zweifelsfrei zu sagen, was Ulbricht ‚wirklich wollte‘. Wir können froh sein, wenn wir zweifelsfrei rekonstruieren können, was er tat.“ (420) Diese nüchterne Einschätzung prägt allerdings nicht diese Studie, in der Michael Kubina die Vorgeschichte des Mauerbaus – mithin die Abschottung der SBZ/DDR seit 1945 – entfaltet. Ihm ist vor allem daran gelegen, andere Autoren zu widerlegen, die die ersten Entscheidungsprozesse, die schließlich 1961 zur Abriegelung West‑Berlins führten, auf den Beginn der 1950er‑Jahre datieren. Kubina geht davon aus, dass die Grenze zunächst in erster Linie dem Schutz etwa vor Spionage, Sabotage oder Ausverkauf gedient habe. Die Abwanderung der Bürger habe eine untergeordnete Rolle gespielt, weil die SED gemeint habe, auf diese Regimegegner verzichten zu können. Auch habe sie ideologisch „auf eine wirtschaftliche Überlegenheit des Sozialismus [gebaut], die die Wanderungsbewegung schließlich umkehren würde“ (63). In diesem Zusammenhang wäre darauf hinzuweisen, dass es den Menschen sehr rasch nach Einrichtung der Besatzungszone erschwert und dann praktisch unmöglich gemacht wurde, die Grenze (außer in West‑Berlin) zu überqueren. Die ideologische Verblendung Ulbrichts und Honeckers erklärt Kubina damit, dass ihre „geistigen Fähigkeiten […] insgesamt beschränkt blieben. […] Bildung im eigentlichen Sinne fehlte ihnen vollständig.“ (27) Die Erkenntnis, dass die DDR dabei war, zu scheitern, habe sich so erst verzögert durchgesetzt: „Seit Herbst 1960 lassen sich […] konkrete Planungen zur Schließung der Grenze in Berlin nachweisen.“ (418) Kubina glaubt, dass Ulbricht mit seiner Aussage auf der Pressekonferenz vom 15. Juni 1961 – „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ (423) – möglicherweise die Wahrheit gesagt habe. Der Bau einer Mauer sei als Drohkulisse gegenüber Chruschtschow und letzte Option gedacht gewesen. Insgesamt hätte diese Studie gewonnen, wenn sich Kubina auf die Quellen konzentriert hätte und weniger bemüht gewesen wäre, sich von anderen Historikern abzugrenzen. Zudem ist die Frage, wann genau Ulbricht sich zum Mauerbau entschlossen hat, angesichts deren Funktion als Mittel des Machterhalts und der Mauertoten nur mäßig spannend. Völlig inakzeptabel ist eine Aussage im Schlussteil: „Für den Bau der Mauer gab es 1961 viele nachvollziehbare, wenn auch kaum [sic!] zu rechtfertigende Gründe“ (461).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.314
Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Michael Kubina: Ulbrichts Scheitern. Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/36816-ulbrichts-scheitern_44674, veröffentlicht am 06.03.2014.
Buch-Nr.: 44674
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