„Zwischenbilanz einer Debatte“ hätte der Untertitel wohl eher lauten müssen. Längst nicht alle Fragen hinsichtlich der Mitverantwortung der Wehrmacht an den während des Zweiten Weltkriegs verübten Verbrechen sind en détail geklärt. Gleichwohl zeigt sich in einer immer genaueren Betrachtung des Themas eine Annäherung zwischen den Positionen, die mit Eröffnung der ersten Wehrmachtsausstellung – vereinfacht – dem Hamburger Institut für Sozialforschung und dem Institut für Zeitgeschichte München-Berlin zuzuschreiben waren. Das gemeinsame Kolloquium im März 2004, auf das die Beiträge dieses Bandes zurückgehen, sei als Beitrag einer „immer wieder geforderten, selten aber realisierten Streitkultur in der Bundesrepublik“ (9) zu verstehen, so Horst Möller, Direktor des Münchner-Berliner Instituts, der die zweite Wehrmachtsausstellung für eine bedeutende Leistung hält. Im Einzelnen wird die Frage der Verantwortung der Wehrmacht an „den vier größten Verbrechenskomplexen – dem Partisanenkrieg, dem Völkermord, der systematischen Unterversorgung der sowjetischen Kriegsgefangenen und schließlich einer Ausbeutungspolitik im Kolonialstil“ (73, Christian Hartmann) in den einzelnen Beiträgen weiter differenziert, empirisch ausgearbeitet - und damit letztlich unstrittiger. Es bleibt der Eindruck, dass die Debatte um die beiden Wehrmachtsausstellungen „ein jahrelanges und landesweites Laboratorium dessen war“, so Jan Philipp Reemtsma, geschäftsführender Vorstand des Hamburger Instituts, „was Zeitgeschichte am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts sein soll, darf, nicht darf und so weiter“ (19). Aus dem Inhalt: Christian Hartmann / Johannes Hürter / Ulrike Jureit: Verbrechen der Wehrmacht. Ergebnisse und Kontroversen der Forschung (21-28) Wehrmachtführung Bernd Wegner: Hitlers Krieg? Zur Entscheidung, Planung und Umsetzung des „Unternehmens Barbarossa“ (29-39) Christian Gerlach: Die Verantwortung der Wehrmachtführung. Vergleichende Betrachtungen am Beispiel der sowjetischen Kriegsgefangenen (40-49) Befehlshaber Johannes Hürter: Konservative Akteure oder totale Krieger? Zum Transformationsprozess einer militärischen Elite (50-59) Timm C. Richter: Handlungsspielräume am Beispiel der 6. Armee (60-68) Soldaten Christian Hartmann: Wie verbrecherisch war die Wehrmacht? Zur Beteiligung von Wehrmachtsangehörigen an Kriegs- und NS-Verbrechen (69-79) Christoph Rass: Verbrecherische Kriegsführung an der Front. Eine Infanteriedivision und ihre Soldaten (80-90) Verbündete Jürgen Förster: Hitlers Verbündete gegen die Sowjetunion 1941 und der Judenmord (91-97) Krisztián Ungváry: Das Beispiel der ungarischen Armee. Ideologischer Vernichtungskrieg oder militärisches Kalkül? (98-106) Wehmacht – SS – Polizei Dieter Pohl: Die Kooperation zwischen Heer, SS und Polizei in den besetzten sowjetischen Gebieten (107-116) Andrej Angrick: Das Beispiel Charkow: Massenmord unter deutscher Besatzung (117-124) Wirtschafts- und Hungerpolitik Dietrich Eichholtz: Der Krieg gegen die Sowjetunion als Wirtschaftsexpansion und Raubkrieg (125-135) Norbert Kunz: Das Beispiel Charkow: Eine Stadtbevölkerung als Opfer der deutschen Hungerstrategie 1941/42 (136-144) Kollaboration Bernhard Chiari: Zwischen Hoffnung und Hunger. Die sowjetische Zivilbevölkerung unter deutscher Besatzung (145-154) Christoph Dieckmann: Der Einsatz „geeigneter Landeseinwohner“ am Beispiel Litauens (155-162) Forschungskonzepte Ulrike Jureit: Motive – Mentalitäten – Handlungsspielräume. Theoretische Anmerkungen zu Handlungsoptionen von Soldaten (163-170) Klaus Latzel: Feldpostbriefe: Überlegungen zur Aussagekraft einer Quelle (171-181)