Skip to main content
/ 28.11.2013
José Ribeaud

Vier Sprachen, ein Zerfall. Wie die Schweiz ihren wichtigsten Vorteil verspielt. Aus dem Französischen von Caroline Gutberlet

München: Nagel & Kimche 2013; 172 S.; 16,90 €; ISBN 978-3-312-00580-2
„Die Mehrsprachigkeit der Schweizer ist eine Illusion“ (7), bedauert der Journalist José Ribeaud, der 1987 einen Preis für seine Verdienste für den Sprachenaustausch erhielt. Liest man seine aktuelle Analyse des Zustands der in der Schweiz gesprochenen Sprachen und der Fähigkeit, miteinander zu kommunizieren, scheint sich der Bedarf an einem solchen Engagement in den vergangenen Jahren noch deutlich vergrößert zu haben. Aber die Deutschschweizer, die ihre Dialekte pflegen, scheinen dies überhaupt nicht mehr mitzubekommen. Ribeaud jedenfalls beobachtet ihren zunehmenden Rückzug auf die Dialekte und damit eine zunehmende Abgrenzung – nicht nur gegenüber den Deutschen im Norden, sondern de facto auch gegenüber ihren anderssprachigen Landsleuten. Denn diese lernten zwar weiterhin Deutsch, aber eben Hochdeutsch. Für einen Menschen, der nicht mit einem deutschschweizerischen Dialekt aufgewachsen sei, sei es praktisch unmöglich, diesen zu erlernen und zu sprechen, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Ribeaud erinnert daran, dass es ursprünglich gar keine Probleme in dieser Hinsicht gegeben hat: Die Deutschschweizer lebten immer ihre Muttersprache Deutsch in zwei Formen, in der Hochsprache und im Dialekt. Unterstützt aber von der Politik und dem Fernsehen haben die Dialekte (es sind eben auch noch mehrere) Einzug in das öffentliche Leben gehalten. Dies werde als identitätsstiftendes Element gerechtfertigt, verhindere aber die Kommunikation über die eidgenössischen Sprachgrenzen hinweg und hänge die Deutschschweizer kulturell vom deutschen Sprachraum ab. Die Folge dieser Selbstbeschränkung sei, dass sich viele Deutschschweizer nicht mehr angemessen im Hochdeutschen artikulieren könnten – und ihren anderssprachigen Landsleuten das Englische als gemeinsame Sprache aufzudrängen versuchten; das Französische werde zugleich aktiv verdrängt. Dass die Wahrung der eigenen kulturellen Identität aber nicht in einer sprachlichen Beschränktheit enden muss, illustriert Ribeaud an den Sprachpolitiken im Tessin und in der Romandie, die ihre Hochsprachen schützen, Dialekte als Zeichen der Vielfalt wahrnehmen und das Erlernen der anderen Sprachen fördern. Vermittelt wird in diesem Kontext auch ein Überblick über die Sprachgesetzgebung. Der leidenschaftliche Schweizer Ribeaud erinnert schließlich daran, dass es eine historische Aufgabe sei, die Vielfalt der Kulturen und Sprachen im Land zu pflegen. Denn diese gegenseitige Achtung sei „das Fundament des eidgenössischen Friedens“ (172).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.52.232.2632.21 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: José Ribeaud: Vier Sprachen, ein Zerfall. München: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/36461-vier-sprachen-ein-zerfall_44624, veröffentlicht am 28.11.2013. Buch-Nr.: 44624 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
CC-BY-NC-SA