Der 1748 geborene Emmanuel Joseph Sieyès, der bald nach Studienbeginn im Priesterseminar St. Sulpice in Paris sein eigentliches Feld, die Theologie, zu vernachlässigen begann, um sich verstärkt aufklärerisch-politischen Schriften zuzuwenden, sollte zu einem der bedeutendsten Theoretiker und Ränkeschmiede der französischen Revolutionszeit aufsteigen. Wenngleich nicht immer erfolgreich im praktischen Sinne, sind seine Schriften für die Geschichte des Konstitutionalismus doch von einer Bedeutung, die die Herausgeber nicht zu Unrecht gleichberechtigt neben der der Federalists verorten. Neben einer umfangreichen Einleitung erleichtern in diesem Band je kurze Erläuterungen den Zugang zu den einzelnen Texten. Elf davon haben Lembcke und Weber versammelt, darunter nicht nur seine bekannteste Schrift „Was ist der Dritte Stand?”, sondern auch den „Entwurf zur Menschenrechtserklärung”, seine „Biografische[n] Notizen” sowie die erste und die zweite „Thermidorrede”. Aus ihnen sprechen u. a. Adam Smith, John Locke und die französischen Aufklärer, etwa wenn der Abbé in der Arbeitsteilung ein charakteristisches Merkmal des menschlichen Fortschritts sieht, er die Arbeit zur Grundlage der Aneignung von Eigentum macht oder er in Abgrenzung zu Rousseau die Vorteile des Repräsentationssystems erläutert. Sieyès‘ zum Teil sehr polemisch geschriebenen Pamphlete sind – wie die in derselben Reihe erschienenen Schriften Condorcets (siehe Buch-Nr. 37088) – wertvolle Dokumente der französischen Aufklärung, die zugleich einen Einblick in das Leben eines vordergründig zwiespältigen Menschen geben. Denn wer über die Verfassungsdiskussion hinaus wissen will, mit welchen Argumenten man einerseits die Privilegienwirtschaft des Ancien Régimes kritisieren und andererseits die Sonderrechte des Klerus verteidigen kann, wer wissen will, wie man die Monarchie für die der Republik gegenüber bessere Staatsform halten und gleichzeitig für die Enthauptung Ludwigs XVI. stimmen kann, der muss dieses Buch lesen.